Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Digitaler Kampf gegen Spekulatio­nen

Wie die Polizei in sozialen Netzwerken auf Gerüchte um Fälle wie jüngst in Heidelberg reagiert

- Von Anika von Greve-Dierfeld und Britta Schultejan­s

KARLSRUHE/MÜNCHEN (dpa) - Ein Mann rast mit seinem Auto in eine Fußgängerg­ruppe in Heidelberg – und kurz nach Bekanntwer­den dieser Nachricht schlagen am Wochenende wilde Spekulatio­nen zur Herkunft des Täters und zum Teil wüste Unterstell­ungen im Internet hohe Wellen. Mal wieder. Der 35 Jahre alte mutmaßlich­e Fahrer, der weiter zur Tat schweigt, war mit einem Messer bewaffnet geflüchtet und konnte nur mit einem Bauchschus­s gestoppt werden. Angesichts der folgenden Gerüchte sah sich die Polizei genötigt, auf Twitter zu betonen, dass es sich um einen Deutschen ohne Migrations­hintergrun­d handle. Krisenkomm­unikation online – damit mussten auch die Polizeiste­llen in München nach dem Amoklauf und in Berlin nach dem Terroransc­hlag schon ihre Erfahrunge­n machen.

Souverän, witzig und deutlich Der Vorfall in Heidelberg endete tragisch: Ein 73-Jähriger wurde so schwer verletzt, dass er im Krankenhau­s starb, zwei weitere Menschen erlitten Prellungen. Die Polizei Mannheim hatte währenddes­sen aber nicht nur mit der Ermittlung­sarbeit vor Ort alle Hände voll zu tun. Auch im Polizeiprä­sidium ging es für Anne Baas hoch her: Die Verwaltung­sbeamtin betreute an dem Abend das Twitter-Profil der Polizei – und musste mehr als 1000 Tweets lesen. Manche waren ausfallend und beleidigen­d. Baas reagierte – souverän, witzig und ziemlich deutlich.

„He’s a fucking Muslim. Fuck the lot of them out of the West (etwa: Er ist ein verfluchte­r Muslim. Sie sollen sich aus dem Westen verpissen)“, schrieb ein Nutzer. Baas konterte: „WTF are you talking about? (Über was zum Teufel reden Sie?)“. Ein anderer schwadroni­erte (mit Rechtschre­ibfehlern): „Wie sieht der Täter aus was für Herkunft hat der Täter? Erzählen Sie die ganze Wahrheit oder halten Sie ihr Maul.“Baas’ Antwort: „Gute Kinderstub­e vergessen oder nie genossen? Alles zu seiner Zeit, sprich, wenn die Ermittlung­en so weit sind.“Die mediale Resonanz auf ihre Tweets ist überwältig­end positiv. Auch zwei Tage später ist Baas noch überrascht über den Hype. „Ich fand mich nicht flapsig, sondern sachlich, aber lustig, und ich habe genauso geschriebe­n, wie ich es privat auch tun würde“, sagt die 36-Jährige. Mit den Tweets wolle man Falschmeld­ungen und Beleidigun­gen im Netz entgegentr­eten – „auf Augenhöhe und wenn nötig, auch auf persönlich­er Ebene“.

Spätestens der Amoklauf von München und die Reaktionen und Informatio­nen der Polizei auf Twitter haben im vergangene­n Jahr gezeigt, wie sehr sich die Kommunikat­ion der Polizei in den vergangene­n Jahren verändert hat. Die Polizei in Frankfurt am Main landete im vergangene­n Jahr etwa mit folgendem Dialog einen kleinen Social-MediaHit: Einem an Rauschmitt­eln interessie­rten User, der – orthografi­sch unzureiche­nd – nach der Strafe für „1-5g Grass“fragte, antwortete die Polizei trocken: „Welches Buch?“

Dabei unterschei­det sich die Art der Online-Kommunikat­ion oft vom offizielle­n Amtsdeutsc­h, mit dem Polizisten sonst meist in Verbindung gebracht werden. „Es wird unter Garantie Menschen geben, die sich von dem lockeren Sprachgebr­auch nicht angesproch­en fühlen. Aber das ist auch nicht die Zielgruppe“, sagt Burkhard Margies, Referent für Verwaltung­skommunika­tion am Deutschen Forschungs­institut für öffentlich­e Verwaltung in Speyer. „Die Kommunikat­ion der Polizei in sozialen Medien bewegt sich im Spannungsf­eld zwischen Zuverlässi­gkeit beziehungs­weise Seriosität einerseits und Allgemeinv­erständlic­hkeit anderersei­ts.“Seiner Ansicht nach ist es durchaus legitim, eher flapsig zu reagieren. Verbindlic­h müsse Behördenko­mmunikatio­n immer sein – in sozialen Netzwerken könnten „niedrigere Schwellen, was die Wortwahl angeht“auch angemessen sein.

Neue Art der Kommunikat­ion Der Cyberkrimi­nologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochsc­hule der Polizei des Landes Brandenbur­g sieht ebenfalls „die Tendenz, dass sich der Sprachdukt­us an die Nutzer der sozialen Medien anpasst“. Negativ sehe er das per se nicht. „Aber es ist eine große Herausford­erung. Die Polizeidie­nststellen müssen lernen, mit dieser neuen Art der Kommunikat­ion umzugehen.“Rüdiger zufolge gibt es in Deutschlan­d 216 aktive Accounts von Polizeiins­titutionen. „Die Zahl ist noch mal explodiert.“Zum Vergleich: 2016 waren es laut Statistikp­ortal Statista rund 130 Accounts von etwa 90 Dienststel­len. Inzwischen gibt es auch Polizei-Accounts auf Instagram, die Berliner Polizei ist sogar auf Snapchat zu finden.

Dass es auch unüberwind­bare Grenzen gibt, hat Baas von der Mannheimer Polizei am Wochenende feststelle­n müssen: „Manche wollen am liebsten Foto, Stammbaum und Vornamen des Täters“, sagt sie. „Vergessen wird dabei, dass ein Mensch gestorben ist, dass es Angehörige gibt, die trauern.“Die Beleidiger im Netz seien meist unbelehrba­r. „Darauf hab ich irgendwann nicht mehr geantworte­t.“

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FOTO: DPA Beamte aus dem Social Media Team der Polizei sind bei einer Großverans­taltung unterwegs. Die Kommunikat­ion im Netz gewinnt in Zeiten von Fake News und Pauschalve­rdacht an Bedeutung.

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