Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das bange Warten auf den gelben Brief
Der Bescheid vom Bundesamt entscheidet über das weitere Leben der Flüchtlinge
WEINGARTEN - Das grelle Gelb des Briefumschlages lässt die Bedeutung bereits erahnen. Ansonsten sieht er aus wie jeder andere Brief – und ist doch omnipräsent in den vorläufigen Flüchtlingsunterbringungen. Denn dieser eine Brief entscheidet über das ganze weitere Leben: der Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), in dem mitgeteilt wird, ob man bleiben darf oder gehen muss. „Der Bescheid bedeutet Aufbruchstimmung“, erklärt Sozialarbeiter Fabian Doser, der sich im Auftrag der Caritas BodenseeOberschwaben um die Flüchtlingsunterkunft in der Weingartener Scherzachstraße kümmert.
78 Asylbewerber leben dort derzeit. Ein Großteil der Bewohner hat zumindest einen Schutztitel bekommen, sodass sie zumindest vorerst in Deutschland bleiben können. Andere Bewohner hatten dagegen weniger Glück. Sie haben einen Ablehnungsbescheid erhalten und werden abgeschoben. „Der Bescheid hat mir zunächst jede Hoffnung genommen, hier leben zu können. Noch immer bin ich wie gelähmt. Ich hatte Ziele, jetzt sind sie weggefegt“, sagt die 39jährige Afghanin Shirin A..
Leere und Zukunftsängste Sie fühle sich leer. Das Leben in Deutschland sei ohnehin schon nicht einfach. Und nun noch die ungewisse Zukunft. Dabei würde Shirin gerne ein kleines Restaurant aufmachen – auch um den Kindern eine Perspektive zu bieten, damit diese künftig ein gutes Leben führen können. Durch den Bescheid steht all das infrage. Wie viele andere Flüchtlinge mit einem ähnlichen Schicksal klagt Shirin mit ihrer Familie nun gegen den Bescheid – Ausgang unklar. „Wir wissen nicht, was passiert, wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt Shirin.
Und damit ist sie nicht allein. Neben ihrer eigenen hat auch eine andere Familie in der Scherzachstraße einen Ablehnungsbescheid erhalten. Zusammen sind sie neun Personen. 58 andere Flüchtlinge aus der Unterkunft haben dagegen einen Schutztitel bekommen, die meisten den subsidiären. Dieser impliziert eine Aufenthaltsgenehmigung für zunächst ein Jahr und ermöglicht es den Flüchtlingen zu arbeiten. Der Familiennachzug ist allerdings bis März 2018 ausgesetzt. Da diese Genehmigung vorerst aber eben auch befristet ist, macht sich bei vielen Betroffenen ebenfalls Unsicherheit breit.
Es fehlt an Wohnraum So auch bei der 25 Jahre alten Amena R.. Gemeinsam mit ihrem Mann und den drei Kindern ist sie aus Syrien nach Deutschland gekommen. Zu fünft teilen sie sich aktuell ein Zimmer, weswegen sie dringend nach einer eigenen Wohnung suchen. Das sei bei vielen Familien ein Problem, erklärt Doser: „Alle Familien sind auf der Suche nach Wohnraum.“Doch für Amena und ihre Familie soll die eigene Wohnung nur der Anfang sein. „Ich möchte die Sprache besser lernen und gerne in einem Kindergarten arbeiten, aber es gibt so viel zu tun. Das ist alles sehr schwer für mich“, sagt sie.
Bei elf Flüchtlingen aus der Scherzachstraße läuft das Verfahren beim Bamf noch. Der Großteil der Bewohner der Unterkunft stammt aus Syrien (49 Personen). 20 Menschen kommen aus Afghanistan, fünf aus Eritrea, vier aus dem Irak. Beim Blick auf alle 502 Flüchtlinge, die in Weingarten leben, verschiebt sich dieses Verhältnis ein wenig. Zwar stammen die meisten Asylbewerber in Weingarten aus Syrien (131). Die zweitgrößte Gruppe kommt mit 50 Personen aus Indien, gefolgt vom Kosovo (38), Afghanistan (35), Gambia (31) und Pakistan (27).
14 Abschiebungen im Jahr 2016 Aktuell haben im gesamten Stadtgebiet 203 Asylbewerber eine – zumindest vorläufige – Bleibeberechtigung. 87 Personen werden geduldet, weil sie aktuell nicht abgeschoben werden können. Meistens fehlt dabei ein gültiger Pass. So wurden im vergangenen Jahr insgesamt gerade einmal 14 Personen aus Weingarten abgeschoben.
Dieses Schicksal droht dem 17 Jahre alten Syrer Wajih H. nicht. Er wurde sogar als einer von sieben Personen in der Unterkunft in der Scherzachstaße als Flüchtling anerkannt. Daher hat er eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre bekommen, darf arbeiten gehen und hat einen Anspruch auf Familiennachzug. „Die Anerkennung als Flüchtling ist ein Glück für mich“, sagt er. „Ich habe neue Motivation für mein Leben. Damit ist ein erster Schritt für meine Zukunft gemacht.“
Große Pläne Und für diese hat er genaue Vorstellungen. Wajih möchte nun einen Schulabschluss machen und dann eine Ausbildung zum pharmazeutischtechnischen Assistenten machen. Danach sollen auch noch das Abitur und ein Pharmazie-Studium folgen. Dann sollen auch seine Eltern und seine Schwester aus Aleppo nach Deutschland ziehen. „Das motiviert mich zu lernen, die Sprache zu beherrschen, denn so kann ich ihnen helfen, in Deutschland zurechtzukommen“, sagt er.