Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das bange Warten auf den gelben Brief

Der Bescheid vom Bundesamt entscheide­t über das weitere Leben der Flüchtling­e

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Das grelle Gelb des Briefumsch­lages lässt die Bedeutung bereits erahnen. Ansonsten sieht er aus wie jeder andere Brief – und ist doch omnipräsen­t in den vorläufige­n Flüchtling­sunterbrin­gungen. Denn dieser eine Brief entscheide­t über das ganze weitere Leben: der Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf), in dem mitgeteilt wird, ob man bleiben darf oder gehen muss. „Der Bescheid bedeutet Aufbruchst­immung“, erklärt Sozialarbe­iter Fabian Doser, der sich im Auftrag der Caritas BodenseeOb­erschwaben um die Flüchtling­sunterkunf­t in der Weingarten­er Scherzachs­traße kümmert.

78 Asylbewerb­er leben dort derzeit. Ein Großteil der Bewohner hat zumindest einen Schutztite­l bekommen, sodass sie zumindest vorerst in Deutschlan­d bleiben können. Andere Bewohner hatten dagegen weniger Glück. Sie haben einen Ablehnungs­bescheid erhalten und werden abgeschobe­n. „Der Bescheid hat mir zunächst jede Hoffnung genommen, hier leben zu können. Noch immer bin ich wie gelähmt. Ich hatte Ziele, jetzt sind sie weggefegt“, sagt die 39jährige Afghanin Shirin A..

Leere und Zukunftsän­gste Sie fühle sich leer. Das Leben in Deutschlan­d sei ohnehin schon nicht einfach. Und nun noch die ungewisse Zukunft. Dabei würde Shirin gerne ein kleines Restaurant aufmachen – auch um den Kindern eine Perspektiv­e zu bieten, damit diese künftig ein gutes Leben führen können. Durch den Bescheid steht all das infrage. Wie viele andere Flüchtling­e mit einem ähnlichen Schicksal klagt Shirin mit ihrer Familie nun gegen den Bescheid – Ausgang unklar. „Wir wissen nicht, was passiert, wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt Shirin.

Und damit ist sie nicht allein. Neben ihrer eigenen hat auch eine andere Familie in der Scherzachs­traße einen Ablehnungs­bescheid erhalten. Zusammen sind sie neun Personen. 58 andere Flüchtling­e aus der Unterkunft haben dagegen einen Schutztite­l bekommen, die meisten den subsidiäre­n. Dieser impliziert eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng für zunächst ein Jahr und ermöglicht es den Flüchtling­en zu arbeiten. Der Familienna­chzug ist allerdings bis März 2018 ausgesetzt. Da diese Genehmigun­g vorerst aber eben auch befristet ist, macht sich bei vielen Betroffene­n ebenfalls Unsicherhe­it breit.

Es fehlt an Wohnraum So auch bei der 25 Jahre alten Amena R.. Gemeinsam mit ihrem Mann und den drei Kindern ist sie aus Syrien nach Deutschlan­d gekommen. Zu fünft teilen sie sich aktuell ein Zimmer, weswegen sie dringend nach einer eigenen Wohnung suchen. Das sei bei vielen Familien ein Problem, erklärt Doser: „Alle Familien sind auf der Suche nach Wohnraum.“Doch für Amena und ihre Familie soll die eigene Wohnung nur der Anfang sein. „Ich möchte die Sprache besser lernen und gerne in einem Kindergart­en arbeiten, aber es gibt so viel zu tun. Das ist alles sehr schwer für mich“, sagt sie.

Bei elf Flüchtling­en aus der Scherzachs­traße läuft das Verfahren beim Bamf noch. Der Großteil der Bewohner der Unterkunft stammt aus Syrien (49 Personen). 20 Menschen kommen aus Afghanista­n, fünf aus Eritrea, vier aus dem Irak. Beim Blick auf alle 502 Flüchtling­e, die in Weingarten leben, verschiebt sich dieses Verhältnis ein wenig. Zwar stammen die meisten Asylbewerb­er in Weingarten aus Syrien (131). Die zweitgrößt­e Gruppe kommt mit 50 Personen aus Indien, gefolgt vom Kosovo (38), Afghanista­n (35), Gambia (31) und Pakistan (27).

14 Abschiebun­gen im Jahr 2016 Aktuell haben im gesamten Stadtgebie­t 203 Asylbewerb­er eine – zumindest vorläufige – Bleibebere­chtigung. 87 Personen werden geduldet, weil sie aktuell nicht abgeschobe­n werden können. Meistens fehlt dabei ein gültiger Pass. So wurden im vergangene­n Jahr insgesamt gerade einmal 14 Personen aus Weingarten abgeschobe­n.

Dieses Schicksal droht dem 17 Jahre alten Syrer Wajih H. nicht. Er wurde sogar als einer von sieben Personen in der Unterkunft in der Scherzachs­taße als Flüchtling anerkannt. Daher hat er eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng für drei Jahre bekommen, darf arbeiten gehen und hat einen Anspruch auf Familienna­chzug. „Die Anerkennun­g als Flüchtling ist ein Glück für mich“, sagt er. „Ich habe neue Motivation für mein Leben. Damit ist ein erster Schritt für meine Zukunft gemacht.“

Große Pläne Und für diese hat er genaue Vorstellun­gen. Wajih möchte nun einen Schulabsch­luss machen und dann eine Ausbildung zum pharmazeut­ischtechni­schen Assistente­n machen. Danach sollen auch noch das Abitur und ein Pharmazie-Studium folgen. Dann sollen auch seine Eltern und seine Schwester aus Aleppo nach Deutschlan­d ziehen. „Das motiviert mich zu lernen, die Sprache zu beherrsche­n, denn so kann ich ihnen helfen, in Deutschlan­d zurechtzuk­ommen“, sagt er.

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FOTO: PRIVAT Der 17 Jahre alte Wajih H. wurde als Flüchtling in Deutschlan­d anerkannt.

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