Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bandenkrieg in Ravensburg
n unserer Vorstellung hatten die Herrensträßler eine ziemliche Einbildung, wobei wir uns nicht erklären konnten, worauf sie beruhte. Auf ein paar herrschaftlichen Häusern entlang der Straße? Auf dem sich damals noch am oberen Ende befindlichen Gefängnis, dem legendären „Roten Haus“? Wir fanden, die Straße besäße nichts Interessantes, auch wenn sie zum Stadtzentrum gehörte. Ähnliches galt auch für die Marktstraße, die Burgstraße und die Holbeinstraße, für die Obere Breite und Untere Breite wie für die gesamte Nordstadt. Und ganz bestimmt galt für die dortigen Straßenbanden, dass sie sich gewiss nicht messen konnten mit der Südstadtbande.
Sie besaß im lange leer stehenden Fabrikgebäude der Firma „Rugel und Lutz“ein ebenso großräumiges wie uneinnehmbares Banden-Quartier, von dem aus regelmäßige Streifzüge von der Südstadt aus über den Bannegghang ins Stadtzentrum unternommen wurden. Ohne nennenswerte Gegenwehr drangen die Südstädtler gerne auch über die Burgstraße in die Stadtmitte vor und von dort aus auf die Höhe des Schwarzwäldles, wo die imaginierte weiße Flagge der dortigen Knaben schon im Voraus wehte und deren Niederlage verkündete.
Spannender verliefen gelegentliche Erkundungen der Schussensiedlung, zeigte sich die dortige Bande doch als ebenso wehrhaft wie humorlos. An die Stelle schmerzhafter Auseinandersetzungen trat im Lauf der Zeit das Fußballspiel, das es ermöglichte, unter Einhaltung gewisser Regeln Rivalitäten auszutragen. Die Südstadtbande war übrigens damals schon ökumenisch organisiert. Sie war damit der Neuwiesenschule weit voraus, wurden doch dort Knaben und Mädchen bis in die 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts ebenso getrennt unterrichtet wie evangelische und katholische Schüler.