Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Türkei wütet gegen Auftrittsverbote
Bozdag: „Faschistisches Vorgehen“– Berlin sorgt sich um deutsch-türkische Freundschaft
BERLIN/ISTANBUL (dpa/sz) - Die Absagen von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland haben in Ankara einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Justizminister Bekir Bozdag bezeichnete den Stopp seines Auftritts am Donnerstag im baden-württembergischen Gaggenau als „faschistisches Vorgehen“. Zwar ist das Auswärtige Amt um Schadensbegrenzung bemüht. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) telefonierte am Freitag mit seinem türkischen Amtskollegen. Für neuen Unmut dürfte aber sorgen, dass auch der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci am Sonntag nicht wie geplant in Frechen bei Köln auftreten kann – der Betreiber will die Halle nicht zur Verfügung stellen.
Bozdag hatte in Gaggenau (Landkreis Rastatt) für Zustimmung beim Referendum am 16. April über das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem werben wollen. Die Stadt hatte die Veranstaltung Bozdags wegen Sicherheitsbedenken abgesetzt. Die Anmelder hätten erst im letzten Moment angekündigt, dass der Minister teilnehmen wolle. Am Freitag legte ein Anrufer mit einer Bombendrohung das Rathaus der badischen Stadt stundenlang lahm. Die Polizei fand aber nichts Verdächtiges.
Bozdag ließ aus Protest ein Treffen mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in Karlsruhe platzen. Der ging seinen türkischen Amtskollegen dafür in einem Brandbrief an: Er sei in „großer Sorge um die deutsch-türkische Freundschaft“, zitierte das Magazin „Spiegel“aus dem Brief, den das Justizministerium am Freitag bestätigte. Maas warnt die Türkei darin vor einem „Abbau der Rechtsstaatlichkeit“. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte Ankara ebenfalls. „Die Türkei entfernt sich von Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und den Grundfesten des demokratischen Gemeinwesens“, sagte Strobl.
Auch die Krise um den in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel spitzte sich zu. Erdogan warf dem „Welt“-Korrespondenten „Spionage“vor und nannte ihn in einer Rede einen „deutschen Agenten“.
BERLIN - Im Streit um die Absagen von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland und die Untersuchungshaft für den „Welt“Journalisten Deniz Yücel wird der Ton zwischen Berlin und Ankara immer schärfer. In einer Rede in Istanbul warf der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dem inhaftierten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel Spionage für Deutschland vor. Die deutschen Behörden beschuldigte er der Unterstützung des Terrorismus in der Türkei. „Sie müssen wegen Unterstützung und Beherbergung von Terrorismus vor Gericht gestellt werden.“
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warnte im Fall Yücel vor einem „Abbau der Rechtsstaatlichkeit“in der Türkei. Die Regierung in Ankara droht Deutschland unterdessen mit ernsten Konsequenzen. „Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschland ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistisches Vorgehen“, empörte sich Justizminister Bekir Bozdag über die Absage seines Auftritts in Gaggenau.
Angela Merkel bemühte sich um Schadensbegrenzung, bezeichnet die Absage in Gaggenau als kommunale Entscheidung. Grundsätzlich werde in Deutschland Meinungsfreiheit praktiziert, stellte die Kanzlerin am Rande ihres Tunesien-Besuchs klar. Die Bundesrepublik habe aber ein föderales System und da entschieden mitunter Kommunen über die Sicherheit einer Veranstaltung.
Länder erwarten Reaktion Heftige Debatte auch in NordrheinWestfalen: Die Stadt Köln hatte einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in einem Bezirksrathaus untersagt. Eine Veranstaltung mit Zeybekci in Frechen ist ebenfalls abgesagt worden. Der Betreiber der für den Auftritt vorgesehenen Halle habe mitgeteilt, dass diese dem Veranstalter für Sonntagabend nicht zur Verfügung stehe. In Leverkusen ist am Sonntag ein Auftritt Zeybekcis bei einer Kulturveranstaltung geplant.
Bisher hatte die Bundesregierung darauf verzichtet, gegen Auftritte türkischer Spitzenpolitiker vorzugehen. Zu einer weiteren Zuspitzung könnte es kommen, sollte Präsident Erdogan seine Pläne wahrmachen wollen, noch vor dem Verfassungsreferendum Mitte April vor seinen Anhängern in Deutschland zu sprechen. Aus den Ländern kommt der Ruf nach einer scharfen Reaktion gegenüber Ankara. „Wir in NordrheinWestfalen erwarten von der Bundeskanzlerin, dass sie dem türkischen Staatspräsidenten deutlich macht, dass solche spaltenden Wahlkampfauftritte mit antidemokratischer Zielrichtung bei uns hier in Deutschland nicht erwünscht sind“, erklärte Rainer Schmeltzer, Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen.
Eine Zuspitzung gibt es auch im Fall des Journalisten Deniz Yücel. Eigentlich hatte Bundesjustizminister Heiko Maas am Donnerstag in Karlsruhe mit seinem türkischen Amtskollegen Bozdag darüber beraten wollen. Doch der ließ den Termin nach der Entwicklung in Gaggenau platzen. „Ich wende mich in großer Sorge um die deutsch-türkische Freundschaft an Sie“, heißt es in einem Brief von Maas an Bozdag. Die Entscheidung, Yücel in Untersuchungshaft zu nehmen, habe ihn „erschüttert“. Der SPD-Politiker fordert die sofortige Freilassung von Yücel.