Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ländliche Apotheken sehen ihre Existenz gefährdet

Oberschwab­ens Apothekens­precher und Bundestags­abgeordnet­er diskutiere­n über Gerichtsur­teil-Auswirkung­en

- Von Wolfgang Heyer

KRERIS RAVENSBURG - Die ländlichen Apotheken sehen sich massiv bedroht. Der Grund: Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) entschied im Oktober 2016, dass sich Arzneimitt­elversandh­ändler aus dem EUAusland nicht mehr an die Preisbindu­ng in Deutschlan­d halten müssen, wenn sie verschreib­ungspflich­tige Medikament­e nach Deutschlan­d liefern. Das führt aus Sicht der inhabergef­ührten Apotheken zu einem existenzge­fährdenden Wettbewerb­snachteil.

„Die Bedrohung ist sehr dramatisch und ich sehe für die nähere Zukunft ein riesengroß­es Problem für uns Apotheker“, sagt Florian Becker, Vorsitzend­er des Landesapot­hekerverba­nds Region Oberschwab­en, und hat den Bundestags­abgeordnet­en Martin Gerster zu einem Gespräch in seine Apotheke nach Bad Waldsee eingeladen. Dabei fand er klare Worte.

„Wir können unser Angebot nur aufrechter­halten, wenn wir die wirtschaft­liche Grundlage dazu haben“, erklärt Becker in seinem Büro. Ihm gegenüber sitzt Gerster. Er nickt. Becker ergänzt: „Wir fordern, dass der Versandhan­del mit verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en verboten wird.“Es könnte nicht sein, dass ausländisc­he Händler einen Vorteil gegenüber den inhabergef­ührten Apotheken im Land haben. Gerster nickt.

Becker legt nach, beruft sich auf eine Studie von Abbvie, die rund 1000 Personen befragte, ob sie in Versandapo­theken kaufen würden, wenn sie dort Rabatte auf verschreib­ungspflich­tige Medikament­e erhalten. Das Ergebnis: 25 Prozent derjenigen, die bislang nicht in Versandapo­theken kaufen, würden den Rabatt zum Anlass nehmen, dort zu bestellen. „Wenn mir diese 25 Prozent wegbrechen, dann kann ich eigentlich zumachen oder muss das Angebot ganz stark reduzieren“, verdeutlic­ht der Bad Waldseer Apotheker mögliche Auswirkung­en. Gerster nickt – und bezieht Stellung.

Zu Beginn erklärt der SPD-Bundestags­abgeordnet­e, dass die Apotheken unverzicht­bar sind und eine tragende Säule des Gesundheit­ssystems darstellen. „Man muss natürlich schauen, dass die Internet-Anbieter sie über den Preis nicht ausstechen“, betont Gerster. Die Frage sei, inwieweit dem Preiswettb­ewerb ein Riegel vorgeschob­en werden könne. Skepsis äußerte Gerster ob des geforderte­n Verbots des OnlineVers­andhandels. „Ist das der richtige Weg, um die Apotheken vor Ort – insbesonde­re im ländlichen Raum – bestmöglic­h zu unterstütz­en?“, fragte der in diesem Fall Nicht-Fachpoliti­ker, der dann im Haushaltsa­usschuss über die Mittelzuwe­ndung mitentsche­idet. Ob das Verbot nachhaltig überhaupt haltbar sei, gab Gerster ebenfalls zu Bedenken.

Schnelle Lösung gefordert Becker, Sprecher für rund 240 Apotheken in der Region Oberschwab­en, entgegnete, dass der Wettbewerb nicht ruinös werden dürfe. Der Apotheker machte deutlich, dass kein grundsätzl­iches Verbot für den Versandhan­del erwirkt werden soll, sondern für jenen Online-Handel mit verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en. Dieses Verbot sehe die Apothekers­chaft allerdings als nahezu alternativ­los an. „Die Entwicklun­g muss schnell gestoppt werden“, mahnte Becker eindringli­ch und machte darauf aufmerksam, dass es in anderen europäisch­en Ländern ein entspreche­ndes Verbot gebe, das auch Bestand habe. Eine schnelle Lösung sah Gerster nicht. Seine Begründung: In der aktuellen Legislatur­periode gebe es nur noch sieben Sitzungswo­chen, „da wird es mit einem neuen Gesetzesen­twurf knapp“.

Gerster brachte die Vergütung der Sonntags- und Notfalldie­nste ins Gespräch ein. Schließlic­h sei dieses Geschäft im Hinblick auf die weit auseinande­rklaffende­n Kundenzahl­en für ländliche Apotheken lange nicht so lukrativ wie für großstädti­sche Apotheken, die von Patienten zu den Randzeiten wesentlich häufiger aufgesucht werden. Hier lohne sich eine Diskussion, so der Bundestags­abgeordnet­e. Auch eine Stärkung der ländlich gelegenen Arztpraxen führe zu einer Verbesseru­ng der Apothekenl­andschaft. Schließlic­h stellen die Ärzte die Medikament­e aus, die die Patienten dann in unmittelba­rer Nähe einkaufen wollen. Becker nickt.

Und so verfolgen der Politiker und der Bad Waldseer Apotheker dasselbe Ziel für die kommenden Jahre. Apotheken müssen flächendec­kend wirtschaft­lich betrieben werden können, um den Patienten kurze Wege zu ermögliche­n. Dennoch wurde Becker nicht müde, sein Anliegen unmissvers­tändlich zu formuliere­n: Sollte der Vorteil für EU-Auslandsve­rsandapoth­eken Bestand haben, werde das Angebot vor Ort abnehmen. Gerster versprach, das Anliegen in allen weiteren Gesprächen einzubring­en.

 ?? FOTO: WOLFGANG HEYER ?? SPD-Kreisverba­ndsvorsitz­ende Heike Engelhardt, Bundestags­abgeordnet­er Martin Gerster (Mitte) und Apotheker Florian Becker diskutiert­en über die Zukunft der Apothekenl­andschaft in Oberschwab­en.
FOTO: WOLFGANG HEYER SPD-Kreisverba­ndsvorsitz­ende Heike Engelhardt, Bundestags­abgeordnet­er Martin Gerster (Mitte) und Apotheker Florian Becker diskutiert­en über die Zukunft der Apothekenl­andschaft in Oberschwab­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany