Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lasst ihn doch reden

- Von Christoph Plate

Was die Türken reden, in der Moschee, bei Ditib oder im Kulturvere­in, hat deutsche Geheimdien­ste lange genug nicht interessie­rt. So ähnlich war es auch, wenn türkische Politiker nach Deutschlan­d kamen, um hier Wahlkampf zu machen. Umso mehr sollten Bundesnach­richtendie­nst und Verfassung­sschutz jetzt genau hinhören, was Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt, wenn er in Deutschlan­d ein Stadion oder eine Sporthalle füllt. Lobt er die Türken dafür, dass sie keine deutschen Staatsbürg­er wurden und Integratio­n verweigern? Hetzt er gegen Kurden oder spricht er seinen Anhängern gar sein Mitgefühl aus, dass sie unter einer Kanzlerin wie Angela Merkel leben müssen, in einem Land, das Nazi-Methoden benutzt? Es gilt, sehr genau hinzuhören in den nächsten Wochen.

Aber dennoch muss Erdogan hier reden dürfen. Es würde Deutschlan­d schwächer machen, wenn man es ihm verbieten würde. Oder irgendeine­m seiner Minister, die in den vergangene­n Tagen als Vorboten schon mal getestet haben, wie die deutschen Behörden und die Bundesregi­erung reagieren. Wenn der türkische Potentat Deutschlan­d Nazi-Methoden vorwirft, mag er sich bei seinen Leuten zum Helden machen, in der Welt aber macht er sich lächerlich. Demokratis­che Errungensc­haften werden umso deutlicher, je mehr etwa die Versammlun­gs- und Redefreihe­it, die wir in Deutschlan­d haben, in der Türkei eingeschrä­nkt werden.

Wenn Erdogan also hier auftritt, bedeutet das zunächst mal kein Einknicken. Es stellt vielmehr die Augeum-Auge-Strategie des Herrschers aus Ankara gegen die demokratis­che Gelassenhe­it eines Staates, der sich seiner Werte sicher ist. Wenn Erdogan den „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel weiter in einem türkischen Gefängnis sitzen lässt, wenn er die Gewaltente­ilung rüde missachtet, ist das eine Katastroph­e für die Türkei, aber kein Anlass bei uns die Grundrecht­e einzuschrä­nken.

Erdogan soll reden. Geheimdien­stexperten und Türkei-Experten hierzuland­e sollten aber jedes seiner Worte auf die Goldwaage legen.

c.plate@schwaebisc­he.de

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