Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf der Suche nach Anton Schlecker

Vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t hat der Prozess gegen den einstigen Drogeriekö­nig aus Ehingen begonnen

- Von Dirk Grupe

STUTTGART - Die blaue Holzeinfas­sung an Richter- und Verteidige­rbank, die niedrige Decke und die fast klaustroph­obische Enge – an diesem Montagmorg­en erinnert im Saal 18 des Landgerich­ts Stuttgart einiges an die früheren Schleckerf­ilialen.

Allein Anton Schlecker scheint nur noch wenig mit jenem Patriarche­n zu tun zu haben, dem zeitweise 14 000 Märkte gehörten mit Zehntausen­den Mitarbeite­rn. Die letzten öffentlich­en Fotos des heute 72-Jährigen sind viele Jahre alt, sie zeigen ihn zumeist mit gefärbten Haaren und grellen Versace-Hemden mit Haifischkr­agen. Nun betritt unter Kameragerä­uschen und Blitzlicht­gewitter ein Mann den Gerichtssa­al mit weißen Haaren, bleicher Gesichtsfa­rbe und komplett in Schwarz gekleidet, flankiert von zwei Anwälten in schwarzen Roben. Hinter ihm nimmt Frau Christa (69) Platz, dahinter Sohn Lars (45) und in letzter Reihe Tochter Meike (43). Auch sie sind alle drei dunkel gekleidet, auch sie werden jeweils von zwei Anwälten begleitet. Unweigerli­ch drängt sich der Eindruck einer Trauergese­llschaft auf.

Und, um im Bild zu bleiben, was die Staatsanwa­ltschaft in den kommenden rund 70 Minuten vorträgt, taugt als Sargnagel einer bürgerlich­en Existenz. Die beiden Staatsanwä­lte Thomas Böttger und Christoph Buchert müssen sich im Vortrag abwechseln, damit die Zungen nicht erlahmen, derweil die Gerichtsbe­sucher ins Staunen kommen. Zwar waren die meisten Vorwürfe schon im Vorfeld bekannt, aber die Essenz aus 150 Kartons mit beschlagna­hmtem Material, fünf Jahren Ermittlung und 270 Seiten Anklagesch­rift wirkt dann aber doch wie ein fasziniere­ndes Dokument des Scheiterns und des Betrugs – sofern die Anklagepun­kte so zutreffen.

Für die Staatsanwa­ltschaft steht fest: Anton Schlecker hat schon Ende 2010 gewusst, dass sein Konzern nicht mehr zu retten ist und hat bis zur Insolvenz 2012 ungefähr 20 Millionen Euro beiseite geschafft, die so dem Zugriff der Gläubiger entzogen wurden. Dabei habe es sich um 36 Einzelpost­en gehandelt, darunter rund eine Millionen Euro für Bauarbeite­n an einer Luxuswohnu­ng von Sohn Lars in Berlin, Reisekoste­n nach Antigua für die Geschwiste­r in Höhe von mehreren Zehntausen­d Euro, sechsstell­ige Geldgesche­nke an die vier Enkel, Beraterhon­orare an die Frau und vieles, vieles mehr. Außerdem soll Anton Schlecker an die Logistikfi­rma LDG der Kinder Lars und Meike überhöhte Stundensät­ze gezahlt haben, auch dies um Gelder aus der Kernfirma abzuziehen. Beinahe jeden Punkt schließen die Staatsanwä­lte mit dem Hinweis: Schlecker habe „überzogen, rücksichts­los und sittlich-anstößig“gehandelt.

Im Raum stehen schließlic­h vorsätzlic­her Bankrott, Insolvenzv­erschleppu­ng,

„Das Unternehme­n war sein Lebenswerk.“

Untreue, Meineid vor dem Insolvenzg­ericht. Kinder und Ehefrau stehen vor allem wegen Beihilfe zum Bankrott unter Anklage, zudem zwei Wirtschaft­sprüfer wegen Bilanzfäls­chung. Schlecker hat den Konzern nicht wie sonst üblich in dieser Größenordn­ung in eine Gesellscha­ft überführt, sondern als eingetrage­ner Kaufmann geleitet. Damit hatte er die alleinige Kontrolle – haftet nun aber auch in vollem Umfang. Wird er verurteilt, drohen ihm bis zu zehn Jahren Haft.

Der so unter Druck stehende einstige Konzernche­f, dessen Vermögen zeitweise in die Milliarden ging, gewinnt während des Prozesstag­es seine Gesichtsfa­rbe nicht zurück, einmal schüttelt er beim Vortrag der Staatsanwa­ltschaft den Kopf, mal knetet er die Hände. Zumeist ist er aber regungslos und wirkt so entrückt wie auf den wenigen Fotos, die es von ihm gibt. Was die Frage aufwirft: Wer ist eigentlich Anton Schlecker?

Was steckt hinter jenem Phantom, das zeitlebens die Öffentlich­keit gescheut hat, und selbst im heimischen Ehingen nie auftrat? Jener Mann, der morgens in die Tiefgarage seiner gläsernen Firmenzent­rale fuhr, unsichtbar für die Mitarbeite­r per Aufzug in Verteidige­r Norbert Scharf über seinen Mandanten sein Büro gelangte, um abends zurückzuke­hren hinter die hohen Mauern seines Luxusanwes­ens nur wenige Kilometer entfernt. Auf diese Fragen will die Verteidigu­ng antworten oder zumindest die Deutungsho­heit über die Antworten erlangen.

„Die Vorwürfe (der Staatsanwa­ltschaft) sind unzutreffe­nd“, stellt gleich zu Beginn seiner Einlassung Verteidige­r Norbert Scharf fest. Er hat schon Ex-Formel-1-Boss Bernie Ecclestone sowie Ex-DeutscheBa­nk-Chef Rolf Breuer verteidigt. Scharf deutet an, dass die Verteidigu­ng die von der Staatsanwa­lt geschilder­ten Vorgänge gar nicht in Zweifel zieht, sie aber für rechtmäßig hält. Es gehe um die Frage: „Was darf ein Unternehme­r?“Darüber hinaus sei überhaupt nicht bewiesen, dass Schlecker zu einem, wie von der Staatsanwa­lt unterstell­t, frühen Zeitpunkt von der drohenden Insolvenz überzeugt war – im Gegenteil. „Das Unternehme­n war sein Lebenswerk“, so Scharf. Schlecker selbst ein „schwäbisch­er Unternehme­r klassische­n Zuschnitts“, mit einer „besonderen Vorstellun­gswelt“und einer „individuel­len Sichtweise“, die es vor Gericht aufzukläre­n gelte.

Anton Schlecker, der einstige Metzgermei­ster, der 1975 Salami gegen Seife austauscht­e und den ersten Markt eröffnete, ist also nicht der skrupellos­e Konzernbos­s? Sondern ein naiver Kaufmann in der Krise, der bis zuletzt und aussichtsl­os um sein Werk gekämpft hat? In der Tat schilderte­n ihn in der Vergangenh­eit ehemalige Mitarbeite­r als beratungsr­esistent und betriebsbl­ind, jene Mischung also, die schon oft zum Untergang geführt hat.

Einen Fürspreche­r findet der Gefallene im Schlecker-Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz, der sich im Vorfeld im Deutschlan­dfunk geäußert hat und als Zeuge aussagen wird. „Nach meinem Dafürhalte­n wurde Schlecker von der Insolvenz überrascht“, so Geiwitz. Außerdem sei es bemerkensw­ert, dass er als Einzelunte­rnehmer die wirtschaft­liche Konsequenz in diesem Fall selber trage. „Das findet man heute kaum noch im Wirtschaft­sleben.“

Selbstrede­nd gibt es auch eine andere Sicht auf Anton Schlecker. Kaum ein Unternehme­r in der jüngeren Wirtschaft­sgeschicht­e, der so viel Unmut, Ärger und auch Hass auf sich gezogen hat, aus nachvollzi­ehbaren Gründen. Bereits 1998 muss sich das Ehepaar Schlecker vor dem Landgerich­t Stuttgart verantwort­en und wird wegen Betrugs zu je zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, weil sie Angestellt­en vorgegauke­lt hätten, nach Tarif zu zahlen. 2010 hagelt es erneut Kritik wegen des Mitarbeite­rumgangs: Es geht um unrechtmäß­ig installier­te Kameras und Angestellt­e, die erst entlassen und dann als billigere Leiharbeit­er wieder eingestell­t wurden, so der Vorwurf. Die Kunden blieben weg, des schlechten Images wegen, aber auch der veralteten Märkte wegen. Während Konkurrent­en wie Rossmann, dm und Müller auf Hochglanz und Wohlfühlat­mosphäre setzen, herrscht bei Schlecker Enge und Ramschklim­a unter Neonlicht.

„Emotionale­r Geiz“Roland Alter, Professor für Organisati­on und Allgemeine Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Hochschule Heilbronn, ist Autor des Buches: „Schlecker oder Geiz ist dumm. Aufstieg und Abstieg eines Milliardär­s“. Er schreibt: „Der Begriff Geiz erscheint mir im Grunde als der richtige Begriff, weil es eben nicht nur der Geiz in der Ausstattun­g war, dort wo wir es sehr schnell sehen konnten, sondern es war im Grunde auch ein emotionale­r Geiz in der Art, wie mit langjährig­en Beschäftig­ten umgegangen wurde.“Für Alter war das Aus 2012 zwangsläuf­ig, 25 000 Mitarbeite­r – die meisten Frauen – verloren ihren Job, eine angedachte Auffangges­ellschaft scheiterte nicht zuletzt am Veto der FDP, was zu deren eigenem Absturz beitrug. Wie viele der Frauen wieder einen Job gefunden haben, lässt sich nicht sagen, eine Sonderstat­istik wurde nur eineinhalb Jahre geführt, nach letztem Stand waren zwei Drittel noch ohne neue Arbeit. Insolvenzv­erwalter Geiwitz sagt: „Manche fühlen sich auf das Attribut Schlecker-Frau reduziert – und zwar in unangemess­ener Weise reduziert. Und ich glaube, dass man den früheren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn überhaupt keinen Gefallen mit diesem Prozess tut."

Vielleicht sind deshalb nur wenige ehemalige Schlecker-Mitarbeite­rinnen zum Prozessauf­takt in Stuttgart erschienen. Sie nehmen zumeist in der letzten Reihe des von Medienleut­en beherrscht­en Saals Platz. Die wenigsten wollen sich öffentlich äußern, eine Ausnahme macht Andrea Straub, 17 Jahre hat sie in Stetten am kalten Markt im Landkreis Sigmaringe­n für Schlecker gearbeitet, betreibt heute selber einen Dorfladen. „Ich bin erschrocke­n über die Zahlen, die vor Gericht genannt wurden“, sagt Straub. Was sie sich von dem Prozess erhofft? „Eine gerechte Strafe.“

Bis dahin kann es dauern, der Prozess geht mindestens bis Oktober 2017, eher länger. Immerhin, der einstige Konzernche­f, das frühere Phantom, will, so kündigt es sein Anwalt an, im Laufe des Verfahrens selber aussagen. Und damit ein Stück weit eine Antwort geben auf die Frage: Wer ist eigentlich Anton Schlecker?

Weitere Artikel und Hintergrün­de zur Schlecker-Pleite unter www.schwaebisc­he.de/schlecker

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FOTO: AFP Der erste Verhandlun­gstag: Anton Schlecker (Dritter von links) und seine Frau Christa (links) am Montag im Saal 18 des Stuttgarte­r Landgerich­ts.
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FOTO: DPA Auch Sohn Lars Schlecker nahm auf der Anklageban­k Platz.
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FOTO: DPA Meike Schlecker, die Tochter des ehemaligen Drogeriech­efs.
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FOTO: DPA Die Mitangekla­gte Christa Schlecker.

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