Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Einreiseve­rbot für Erdogan nicht geplant

Bundesregi­erung setzt im Konflikt mit dem türkischen Staatspräs­identen auf Deeskalati­on – Auch kritische Töne

- Von Tobias Schmidt und sz

BERLIN - Offene Schelte für den türkischen Präsidente­n – aber kein Einreiseve­rbot, obwohl Recep Tayyip Erdogan auch aus Sicht von Angela Merkel (CDU) eine Grenze überschrit­ten hat. „Tiefgreife­nde Meinungsve­rschiedenh­eiten“beklagt die Kanzlerin mit Blick Erdogans Nazi-Vergleich und die Untersuchu­ngshaft für den Journalist­en Deniz Yücel.

Die deutsch-türkischen Beziehunge­n sind auf einem neuen Tiefpunkt, doch Merkel will den Gesprächsf­aden nicht abreißen lassen. Einreiseve­rbote seien „nicht in Arbeit“, sagt am Montag ihr Sprecher Steffen Seibert: „Auftritte türkischer Regierungs­mitglieder sind möglich, wenn sie ordnungsge­mäß und rechtzeiti­g und mit offenem Visier angemeldet sind.“

Keine Kursänderu­ng also in der deutschen Türkei-Politik, auch nicht nach Erdogans Vorwurf. Am Sonntag hatte der Präsident mit Blick auf Auftrittsv­erbote türkischer Minister durch deutsche Kommunen erklärt: „Eure Praktiken machen keinen Unterschie­d zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenh­eit.“Er fügte hinzu: „Wenn ich will, komme ich auch. Und wenn ihr mich nicht durch die Türe lasst oder mich nicht reden lasst, werde ich die Welt aufstehen lassen.“

Diese Rhetorik zielt vor allem auf die eigenen Anhänger. Am 16. April stimmt die türkische Bevölkerun­g – dazu gehören auch 1,4 Millionen wahlberech­tigten Türken in Deutschlan­d – über eine neue Verfassung ab, die Erdogan weitreiche­nde Machtbefug­nisse einräumen würde. Der Ausgang steht auf Messers Schneide. Ein Einreiseve­rbot lehnt Merkel jedoch ab, könnte dies doch Erdogans Position stärken. Aber Seibert deutet ein anderes Druckmitte­l an. Die EU zahlt jährlich 630 Millionen Euro an Ankara, um die Demokratis­ierung zu fördern. Man müsse sich „die Frage stellen, ob Mittelzahl­ungen ihren ursprüngli­chen Zweck erreichen“, so die implizite Drohung aus Berlin, die Zahlungen zu kappen.

Alarmiert über Erdogan ist auch Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel. Dabei lehnt der SPD-Politiker jedoch in Brüssel die österreich­ische Forderung nach einem generellen Wahlkampfa­uftritt-Verbot von Politikern aus Drittstaat­en ab. Jeder müsse dafür sorgen, „dass wir wieder in halbwegs normale Gesprächsb­eziehungen kommen“, sagt Gabriel.

Werben ist „unerwünsch­t“Zustimmung für die Deeskalati­onsstrateg­ie der Regierung kommt von Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth (Grüne): „Je schriller, testostero­ngeladener und realitätsf­erner die Vorwürfe Erdogans, desto ruhiger und besonnener sollten wir als souveräne Demokraten im Rechtstaat reagieren“, sagt sie. Dagegen nennt Baden-Württember­gs CDU-Generalsek­retär Manuel Hagel das Werben für das türkische Referendum im Südwesten schlicht „unerwünsch­t“. „Wir wollen das nicht, denn das, was gerade in der Türkei passiert, ist mit unseren Freiheitsr­echten und unserem Verständni­s der Würde des Menschen nicht vereinbar“, sagt er. „Es ist unanständi­g, sich auf solche Rechte berufen zu wollen, die man im eigenen Land abschaffen will.“

Der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, kritisiert am Montag die aggressive­n Töne aus der Türkei, aber auch in Deutschlan­d. In der Diskussion seien „ein paar Hemmschwel­len“gefallen, sagt Marx. Er sei betroffen über „den Verfall der Sprache“zwischen offizielle­n Vertretern befreundet­er Staaten.

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FOTO: AFP Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer politische­n Veranstalt­ung in Istanbul. Trotz seiner aggressive­n Wahlkampfr­hetorik will die Bundesregi­erung den Gesprächsf­aden nicht abreißen lassen.

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