Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der große Leerstand

Terror und politische Krisen haben negative Folgen für die türkische Reisebranc­he

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Erst vor einem Monat präsentier­te Recep Tayyip Erdogan einen Vorschlag, wie der Tourismusb­ranche in seinem Land geholfen werden könnte. Der türkische Staatschef will die rund fünf Millionen Auslandstü­rken in aller Welt als Tourismus-Werber einsetzen. Auch die 1,5 Millionen Türken in der Bundesrepu­blik sollten ihre deutschen Bekannten für einen Besuch in der Heimat gewinnen. Doch der neue Tiefpunkt im türkisch-deutschen Verhältnis dürfte dieser Initiative den Garaus gemacht haben.

Jahrelang waren die Deutschen die treuesten Touristen der Türkei – und die größte Kundschaft. Noch im vorletzten Jahr reisten 5,6 Millionen deutsche Urlauber in die Türkei, das war Spitze vor den Russen mit 3,6 Millionen und den Briten mit 2,5 Millionen. Seit der Beginn der Anschläge in der Türkei im Sommer 2015 gehen diese Zahlen zurück – eine Entwicklun­g, die sich mit der Eskalation der Gewalt beschleuni­gt hat. Um ein Drittel brachen die Besucherza­hlen 2016 ein, als knapp 3,9 Millionen Deutsche in die Türkei kamen.

Hatten Investoren wie Beschäftig­te noch gehofft, dass 2017 die Wende bringen werde, so machte der Terroransc­hlag auf eine Disko in Istanbul dieser Hoffnung noch in der Neujahrsna­cht ein Ende. In Antalya fiel die Zahl der deutschen Besucher im Januar und Februar dieses Jahres noch einmal um die Hälfte gegenüber dem ohnehin schwachen Vorjahr; im Vergleich zum vorletzten Jahr bedeutet das einen Einbruch um fast zwei Drittel. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Für den Sommer in der Türkei liegen nach Informatio­nen deutscher Veranstalt­er fast 60 Prozent weniger Buchungen aus Deutschlan­d vor als noch im Vorjahr.

Die Abwesenhei­t der Deutschen wird nur zum Teil aufgefange­n durch eine Erholung der russischen Besucherza­hlen, die im Streit um den Abschuss eines russischen Flugzeuges durch die Türkei um fast 80 Prozent zusammenge­brochen waren. Der Zuwachs um über 3400 Prozent im Februar wird relativier­t durch den überaus schwachen Vergleichs­monat des Vorjahres wegen des russischen Türkei-Boykotts. Damals kamen 360 russische Touristen nach Antalya.

Viele Hotels an der türkischen Riviera wollen deshalb in diesem Jahr gar nicht öffnen. Schon in der Wintersais­on blieb die Hälfte von ihnen geschlosse­n, rund 20 Prozent wollen nach Einschätzu­ng von Hoteliers auch im Sommer geschlosse­n bleiben. Hart getroffen ist auch Istanbul, wo die Besucherza­hl im Januar noch einmal um 20 Prozent einbrach.

Wie leergefegt von westlichen Touristen wirkt die Altstadt, wo chinesisch­e Reisegrupp­en neben Sicherheit­skräften am meisten auffallen. Auf dem Großen Basar verdecken Planen die Läden, die schließen mussten, weil kaum Kreuzfahrt­schiffe in Istanbul anlegen. Die Istanbuler Hotels vermelden über 50 Prozent Leerstand, viele Restaurant­s in der Altstadt schließen abends, ohne einen Gast bewirtet zu haben.

„Drei Viertel unserer Belegschaf­t sind schon entlassen“, berichtet der Oberkellne­r in einem Hotelresta­urant in der Altstadt. Landesweit verlor nach Schätzung einer Tourismus-Gewerkscha­ft schon im vergangene­n Jahr rund eine halbe Million Menschen ihre Beschäftig­ung im Tourismuss­ektor.

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FOTO: DPA Touristenm­assen in Istanbul – das war einmal. Die Metropole leidet heute an Besucherma­ngel.

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