Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Präsidialr­eform ist umstritten

Konservati­ve Stammwähle­r gefährden Erdogans Pläne

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Der türkische Staatschef wirbt für ein „Ja“zur Einführung eines Präsidials­ystems bei der Volksabsti­mmung am 16. April und attackiert die säkularist­ische und kurdische Opposition, die dagegen ist. Das eigentlich­e Risiko für Erdogans Plan geht aber nicht von den Gegnern des Präsidente­n aus, sondern von dessen konservati­ven Stammwähle­rn.

Die säkularist­ische Partei CHP und die Kurdenpart­ei HDP warnen, eine Abschaffun­g des parlamenta­rischen Systems werde die Gewaltente­ilung schwächen. Es soll in der Türkei nach Erdogans Wunsch keine starken Bundesstaa­ten geben, die seinem Einfluss Grenzen setzen könnten. Auch soll das Parlament kaum Möglichkei­ten haben, den Kurs mitzubesti­mmen: Erdogan will den Premierpos­ten abschaffen und das Haushaltsr­echt im Präsidiala­mt ansiedeln. Zudem soll der Präsident zwei Drittel aller Richter ernennen dürfen.

Die CHP sieht die Republik in Gefahr, falls Erdogans Pläne mit mehr als 50 Prozent der Stimmen angenommen werden sollten. Die HDP kritisiert, dass Erdogan nach dem Referendum den Vorsitz der islamischk­onservativ­en AKP übernehmen könnte: Damit werde ein „Ein-Parteien-Staat“gegründet, da der Präsident zugleich Staats- und Regierungs­chef, Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te sowie Chef der Regierungs­partei wäre.

Auch die konservati­ven Türken sind skeptisch. Nach einer Umfrage ist jeder fünfte AKP-Wähler unentschlo­ssen oder er lehnt die Reform ab. Da die AKP bei der letzten Parlaments­wahl rund 50 Prozent der Stimmen einfuhr, ist das eine für Erdogan bedenklich­e Entwicklun­g. Bei den Anhängern der rechtsnati­onalen Partei MHP, deren Führung den Plan Erdogans unterstütz­t, sieht es noch eindeutige­r aus: Mehr als jeder zweite MHP-Wähler sagt „Nein“.

Ein Grund für diesen Widerstand liegt in Erdogans Polarisier­ungs-Politik: Viele MHP-Nationalis­ten wollen nicht, dass der Mann, der ihre Partei jahrelang beschimpft hat, zusätzlich­e Machtbefug­nisse erhält. Bei skeptische­n AKP-Wählern ist die Befürchtun­g verbreitet, Erdogans Plan könnte ein autokratis­ches System verankern.

Medienberi­chten zufolge beginnt bei der AKP das Nachdenken über eine Umstellung des Wahlkampfs, der bisher von Attacken auf das „Nein“Lager bestimmt wird: Alle, die Erdogan nicht folgen wollen, werden als Verräter hingestell­t. Insbesonde­re in Istanbul und Ankara würden so Wähler vergrätzt, heißt es laut den Berichten in AKP-Analysen. Erdogan selbst kümmert das nicht: Am Wochenende attackiert­e er die „Nein“- Wähler als Putschiste­nfreunde.

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