Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Preis des Erfolges
Am Anfang des vierten Aktes bleibt die Regierungsloge leer. Stalin hat vorzeitig das Theater verlassen. Schostakowitsch weiß sofort, dass das nichts Gutes bedeutet. Am Tag darauf wird seine Oper „Lady Macbeth von Menz“in der Prawda niedergemacht. „Unpolitisch und chaotisch“sei sie. Es ist nicht der Verriss eines normalen Kritikers, dessen Meinung sich nach Verdauungszustand ändert, sondern eine Grundsatzerklärung von höchster Stelle. Wahrscheinlich Stalin selbst. „Es gab genügend grammatikalische Fehler darin, um auf die Feder eines Mannes hinzudeuten, dessen Fehler nie korrigiert werden durften.“Bald ist Schostakowitsch nur noch der „Volksfeind“.
Dmitri Schostakowitsch (19061975) habe sein Leben nicht nur einmal erzählt, schreibt Julian Barnes im Roman „Der Lärm der Zeit“, in dem er ein lebensechtes Psychogramm des Komponisten zeichnet. Im Lauf der Jahre habe Schostakowitsch die Geschichten immer wieder „verbessert“. Für einen Biografen sei das frustrierend, einem Romanautor aber käme das gelegen.
Mit viel Einfühlungsvermögen und literarischem Können wagt Barnes den Blick in die Seele des Musikers und zeigt ihn voller Selbstekel, weil er sich ein Leben lang vom Sowjetregime vereinnahmen ließ. Ein nahezu perfekter Roman, mit dem der letztjährige Gewinner des SiegfriedLenz-Preises an den Erfolg seines Bestsellers „Vom Ende einer Geschichte“(2011) anknüpft. (grom)
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit, KiWi, 246 Seiten, 20 Euro.