Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Keine Adoption für Unverheira­tete

Bundesgeri­chtshof erlaubt das Annehmen von Stiefkinde­rn nur mit Trauschein

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Eine Frau zieht nach dem Tod ihres Mann mit einem neuen Partner zusammen. Ihre beiden Kinder bringt sie mit. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die vier wären gerne auch vor dem Gesetz eine Familie. Aber der Mann kann seine Stiefkinde­r nicht adoptieren – denn geheiratet haben die beiden nie. Ist das in der heutigen Zeit noch gerecht? Für seine Sache geht das Paar vor Gericht bis in die letzte Instanz. In diesem Fall will der Bundesgeri­chtshof (BGH) allerdings nicht an Prinzipien rütteln (Az. XII ZB 586/15). Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema.

Wie verbreitet sind Adoptionen in Deutschlan­d? Bei Adoption denken die meisten Menschen zuerst an Paare, die selbst keine Kinder bekommen können und deshalb durch Annahme eines fremden Kindes aus dem In- oder Ausland Eltern werden wollen. Von den zuletzt etwa 3800 Adoptionen im Jahr machen diese Fälle aber nur den kleineren Teil aus, ihre Zahl ist seit Längerem rückläufig. Die meisten Adoptionen – 61 Prozent im Jahr 2015 – sind inzwischen solche, bei denen der neue Mann der Mutter oder die neue Frau des Vaters das Stiefkind als ihr eigenes annehmen. Oft geht es darum, nach einer Trennung oder Scheidung die Verhältnis­se neu zu regeln.

Welche rechtliche­n Regeln gelten? Grundsätzl­ich kann ein Kind adoptieren, wer mindestens 25 Jahre alt ist. Eine Obergrenze gibt es nicht, die Jugendämte­r achten aber darauf, dass der Altersabst­and in etwa dem natürliche­n entspricht. Eheleute können nur gemeinsam ein Kind adoptieren. In Ehen und gleichgesc­hlechtlich­en Lebenspart­nerschafte­n, in denen einer der Partner bereits ein Kind hat, kann der andere durch Adoption dessen zweiter Elternteil werden. Will zum Beispiel der neue Mann der Mutter seinen Stiefsohn adoptieren, geht das nur, wenn der leibliche Vater zustimmt. Kinder, die älter als 14 sind, müssen selbst einwillige­n. Denn durch die Adoption werden die alten Verwandtsc­haftsbezie­hungen gelöst. Das Kind bekommt den gleichen Status wie ein eigenes.

Wo ist das Problem bei der Familie vor dem BGH? Für unverheira­tete Paare sieht das Gesetz keine Stiefkind-Adoption vor. Wenn der Mann die Stiefkinde­r adoptieren darf, ist das per Gesetz nur mit Trauschein und seit einigen Jahren in gleichgesc­hlechtlich­er eingetrage­ner Lebenspart­nerschaft vorgesehen. In allen anderen Fällen erlischt – wie etwa bei der Annahme eines zur Adoption freigegebe­nen Kindes durch ein kinderlose­s Paar – automatisc­h die Verwandtsc­haft zu den leiblichen Eltern. Kritiker sind der Ansicht, dass das den gesellscha­ftlichen Realitäten nicht mehr entspricht. Denn viele Ehen halten nicht mehr fürs Leben. Gleichzeit­ig leben immer mehr Paare ohne Trauschein zusammen, auch mit Kindern. Nach den aktuellste­n Zahlen von 2015 sind in gut jeder zehnten Familie mit Kindern unter 18 Jahren die Eltern nicht verheirate­t. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n hat sich die Zahl dieser Familien von 449 000 (1996) auf 836 000 fast verdoppelt.

Was haben die Karlsruher Richter entschiede­n? Sie kommen dem Wunsch der beiden Unverheira­teten nicht nach und weisen die Rechtsbesc­hwerde ab. Die gesetzlich­en Regelungen seien eindeutig, heißt es in dem am Montag veröffentl­ichten Beschluss. Nach Auffassung des Familiense­nats verstoßen diese Regelungen auch nicht gegen Grund- oder Menschenre­chte. Der Gesetzgebe­r dürfe Paare mit und ohne Trauschein durchaus unterschie­dlich behandeln. Denn auch der gesellscha­ftliche Wandel ändere nichts daran, dass sich die Ehe von einer nichteheli­chen Lebensgeme­inschaft rechtlich deutlich abhebe. Außerdem stehe es jedem frei, die Ehe zu schließen. Das Argument, dass dann die Witwenrent­e wegfalle, lassen die Richter nicht gelten.

Was bedeutet das für andere Familien? Nach den Erfahrunge­n des Bundesverb­ands der Pflege- und Adoptivfam­ilien geht es oft nicht in erster Linie darum, den Familienzu­sammenhalt zu stärken. „Die meisten Kinder nehmen ihren sozialen Vater auch so als ihren Vater an“, sagt Referentin Carmen Thiele. Hauptmotiv­ation für den Adoptionsw­unsch sei oft, dass der neue Partner auch sorgerecht­lich Verantwort­ung übernehmen möchte – um beispielsw­eise Entscheidu­ngen treffen zu können, wenn die Mutter nach einem Unfall unerwartet im Krankenhau­s liegt. Reformbeda­rf sieht Thiele vor allem hier. „Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Stiefkind-Adoptionen deutlich zurückgehe­n würde, wenn der Gesetzgebe­r die Sorgerecht­swahrnehmu­ng anderweiti­g ermögliche­n würde“, meint sie.

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FOTO: DPA Immer mehr Paare leben unverheira­tet zusammen, häufiger auch mit Kindern.

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