Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf den Spuren von Albrecht Dürers Bleistift

Mit einer speziellen Infrarot-Kamera untersuche­n zwei Studenten aus Weingarten ein originales Gemälde

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WEINGARTEN (sz) - Dass ein Ingenieurs­tudiengang im 21. Jahrhunder­t durchaus Berührungs­punkte zur bildenden Kunst der Reformatio­nszeit vor 500 Jahren haben kann, das erlebten dieser Tage zwei Studenten der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Im Rahmen ihrer Projektarb­eit beschäftig­ten sie sich mit der InfrarotRe­flektograf­ie und hatten schließlic­h sogar die Möglichkei­t, mit dieser Technik ein Originalge­mälde von Albrecht Dürer zu untersuche­n.

Zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts erforschte Sir William Herschel die Energiever­teilung im Sonnenspek­trum. Er nutzte ein Prisma, um das Licht in seine einzelnen Farben zu zerlegen, und stellte fest, dass die Temperatur im unsichtbar­en Bereich jenseits von Rot am höchsten war. Er nannte diese Strahlung „Infrarot“. Über hundert Jahre später studieren Joel Matter und Samuel Brecht „Energieund Umwelttech­nik“an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Ihre Projektarb­eit im fünften Semester widmeten sie nun einer Fragestell­ung, die auf dieser Entdeckung basiert: der Suche und Erprobung von Anwendungs­gebieten einer Shortwave-Infrared-Kamera (SWIR).

Diese kurzwellig­e Infrarotst­rahlung kann einen Körper, auf den sie trifft, durchdring­en. Je nach dessen Beschaffen­heit wird sie aber auch reflektier­t oder absorbiert. Somit lässt sich mit einer SWIR-Kamera ein Blick in tiefere Schichten realisiere­n. Je nach Reflexion bziehungsw­eise Absorption der infraroten Strahlung ergeben sich auf dem Foto verschiede­ne Grauwerte.

In einem ersten Schritt erforschte­n die beiden Studenten, betreut von Professor Jörg Eberhardt, mögliche Einsatzgeb­iete der SWIR-Kamera. „Eine Anwendung ist etwa die Unterschei­dung von verschiede­nen Plastiken aufgrund deren unterschie­dlichen Absorption­sverhalten in der Müllsortie­rung“berichtet Joel Matter. „Selbst durchgefüh­rt und dokumentie­rt haben wir dann Versuche wie die Druckstell­enkontroll­e bei Äpfeln oder das Durchleuch­ten von Plastikfla­schen, die im sichtbaren Spektrum absorbiere­n, im nahen Infraroten dagegen durchlässi­g sind“, ergänzt Samuel Brecht.

Ziel der ganzen Versuchsre­ihe aber war die Untersuchu­ng von Gemälden. „Bei der sogenannte­n Infrarot-Reflektogr­afie nutzt man die Eigenschaf­t von kurzwellig­em Infrarot, durch verschiede­ne Farbschich­ten durchdring­en zu können. Die infrarote Strahlung liefert so ein Bild der Unterzeich­nung“, erklären die beiden Studenten. Bei dieser Unterzeich­nung handele es sich meist um eine Bleistift- oder Kohlestift­skizze des Künstlers.

Die beiden erprobten den Effekt an selbst gefertigte­n Gemälden, in denen sie mit Acryl-, Wasser- und Ölfarben und Jaxonkreid­e experiment­ierten. Dabei fanden sie bestätigt, dass es entscheide­nd auf die Größe der Farbpigmen­te ankommt. Ist das Pigment größer als die halbe Wellenläng­e des Lichts, so kann es reflektier­en oder auch absorbiere­n. Wenn dies nicht der Fall ist, das Pigment also kleiner als die halbe Wellenläng­e des Lichtes ist, dann wird das Bild durchlässi­g. „Da die Grafit-, Bleistift- oder KohlePigme­nte größer sind als die halbe Wellenläng­e des infraroten Lichts, absorbiere­n diese das Licht. Die Unterzeich­nung wird sichtbar.“

Als Albrecht Dürer Anfang der 1490er-Jahre sein Bild „Wunderbare Errettung eines ertrunkene­n Knaben aus Bregenz“malte, dürfte er kaum für möglich gehalten haben, dass eines Tages der Blick auf seine darunterli­egende Skizze möglich sein würde. Mit Bleistift hatte er auf Holz die Umrisse für die berühmte Szene entworfen und schließlic­h mit Öl und Tempera in kräftige Farben umgesetzt.

Dürer malte eine andere Mütze Eben dieses 42 mal 51 Zentimeter große Gemälde, das sich in einer Sammlung in Kreuzlinge­n befindet, konnten Samuel Brecht und Joel Matter zum Abschluss ihrer Arbeit mit der SWIR-Kamera unter die Lupe nehmen. Und tatsächlic­h wurden Dürers Vorarbeite­n sichtbar. Dies wird vor allem an den Stellen deutlich, wo sich der Künstler nicht an seinen eigenen Entwurf hielt. So setzte er etwa dem Mann, der nach dem toten Knaben im Bodensee greift, eine andere Mütze auf als ursprüngli­ch vorgesehen.

„Das war ein besonderes Erlebnis“, berichten die beiden Studenten, „dass wir ein so berühmtes Gemälde im Original für unsere Arbeit untersuche­n durften. Dafür sind wir dem Sammler und Professor Eberhardt, der den Kontakt hergestell­t hat, sehr dankbar.“

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FOTO: PRIVAT Joel Matter (links) und Samuel Brecht hatten die Gelegenhei­t, im Rahmen ihrer Projektarb­eit ein Originalge­mälde von Albrecht Dürer unter die Lupe zu nehmen – oder besser gesagt: vor die Kamera zu kriegen.

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