Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Einigung mit Schönheitsfehler
Bundesregierung und Atomkonzerne können Entsorgungspakt schließen
BERLIN (dpa) - Der Staat kann mit den großen Energiekonzernen einen Milliarden-Pakt zur Entsorgung der atomaren Altlasten abschließen und dies per Vertrag endgültig besiegeln: Knapp ein Jahr nach der Grundsatzeinigung haben sich die Bundesregierung und die vier Energieriesen Vattenfall, Eon, RWE und EnBW auf Details verständigt. Die Bundesregierung hat den Angaben zufolge erreicht, dass die Konzerne „fast alle im Kernenergiebereich anhängigen Klagen und Widersprüche nunmehr zurücknehmen werden“. Die Konzerne lassen allerdings nicht – wie von der Politik angestrebt – alle noch anhängigen Klagen im Zusammenhang mit dem Atomausstieg fallen. „Das ist das Ergebnis einer Waschlappen-Verhandlung“, kritisierte die Atomexpertin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl.
Worum geht es im Entsorgungspakt? Das von Bundestag und Bundesrat bereits beschlossene Gesetz regelt, dass Eon, RWE, Vattenfall und EnBW insgesamt 23,55 Milliarden Euro an einen Staatsfonds überweisen. Der Fonds soll die Zwischen- und Endlagerung des Nuklearmülls managen, die Unternehmen können sich von der Haftung „freikaufen“. Für Stilllegung und Abriss der Kernkraftwerke sowie die Verpackung des Mülls bleiben sie aber verantwortlich. Gleichzeitig sollen das Überleben der Konzerne gesichert und Risiken für die Steuerzahler minimiert werden. Der Vertrag soll nach Inkrafttreten des Gesetzes unterzeichnet werden.
Wie geht es weiter? Spätestens Ende 2022 werden alle Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden – doch der Atommüll strahlt noch lange weiter. Die Kosten für dessen Entsorgung sollen die Betreiber der Atomkraftwerke zahlen, die lange Zeit üppige Gewinne mit ihren Meilern erwirtschaftet haben.
Was kosten Stilllegung und Atommüll-Lagerung? Die von der Bundesregierung eingesetzte überparteiliche Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstieges (KFK) hatte Schätzungen von mindestens 48 Milliarden Euro unterstellt – berechnet allerdings zu Preisen von 2014. Ein Szenario kam bis 2099 auf Gesamtkosten – mit Inflation und steigenden Anteilen – von fast 170 Milliarden Euro.
Haben die Atomkonzerne selbst ausreichend Vorsorge getroffen? Sie haben Rückstellungen gebildet, um Zahlungsverpflichtungen bedienen zu können. Zu dieser Absicherung sind sie verpflichtet. Bis Ende 2014 waren mehr als 38 Milliarden Euro für Abriss und Entsorgung beiseitegelegt worden. Wegen der niedrigen Zinsen mussten die Unternehmen diese Summe erhöhen – bis Ende 2015 auf knapp 40,1 Milliarden Euro. Das Geld liegt nicht auf Konten, sondern steckt in Anlagen, Vermögen und Beteiligungen. Wegen des Zinsrisikos könnten die LangfristVerpflichtungen auf bis zu 70 Milliarden Euro steigen.
Was ist mit den Klagen der Konzerne gegen den Atomausstieg? Die Konzerne hatten 2016 angekündigt, ein Bündel von Klagen gegen den Staat fallen zu lassen. Die große Koalition und die Grünen pochten darauf, dass auch die restlichen Klagen zurückgezogen werden. Das ist nun nicht der Fall. Die Unternehmen wollen weiter gegen die ausgelaufene Brennelemente-Steuer von Finanzminister Wolfgang Schäuble klagen – es geht um fast 6,3 Milliarden Euro, die der Bund zwischen 2011 und 2016 kassierte.
Ein weiteres finanzielles Risiko für die Steuerzahler ist das Schadenersatz-Verfahren, das der schwedische Staatskonzern Vattenfall vor einem internationalen Schiedsgericht in den USA betreibt. Vattenfall will von Deutschland etwa 4,7 Milliarden Euro an Entschädigung. Die Schweden fühlen sich enteignet, weil ihre deutschen Meiler Krümmel und Brunsbüttel nach der Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 abgeschaltet worden waren.
Was sagte das Bundesverfassungsgericht zu Konzernklagen? Von einer Enteignung sprachen die Richter in ihrem Urteil im Dezember 2016 nicht. Im Wesentlichen wurde der nach Fukushima von der Politik eingeleitete rasche Atomausstieg bestätigt. Das höchste deutsche Gericht billigte den Konzernen aber eine Entschädigung für sinnlos gewordene Investitionen in ihre dichtgemachten Kraftwerke sowie teilweise für entgangene Stromverkäufe zu.