Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von amourösen Risiken und Nebenwirkungen
Schon Goethe suchte in den böhmischen Orten Marienbad, Karlsbad und Franzensbad Erholung und fand eine neue Liebe
oethe im Liebestaumel? Schon oft hatte Amors Pfeil ihn direkt ins Herz getroffen. Abgeklärt glaubt er nun in seinen Siebzigern, sich gelassen zurücklehnen und entspannen zu können. Unter anderem in Böhmen, in einem der viel gerühmten Gesundheitsbäder. Doch weit gefehlt! Denn noch einmal erfasst ihn die Leidenschaft. Diesmal ist es die blutjunge Ulrike von Levetzow, die im zarten Alter von 17 Jahren im böhmischen Marienbad die Gefühlswallung des 72-Jährigen entfacht. Ist es das holde Wesen, das den Kenner amouröser Angelegenheiten in Liebeswahn versetzt? Oder ist es vielmehr die Ambrosius-Quelle, jene schon damals legendäre „Quelle der Liebe“, mit deren Hilfe er es vielleicht doch noch einmal wissen will? Womöglich kennt Goethe nicht einmal selbst die genauen Ursachen für sein quälendes Liebesweh, als er es leidend und „in Qual verstummend“in Marienbad zu Papier bringt.
Wo andere glauben, für alles sei ein entsprechendes Kraut gewachsen, ist man im böhmischen Bäderdreieck bis heute der Meinung, man könne jedem Problem mit dem richtigen Quellwasser zu Leibe rücken. Und davon gibt es in Marienbad, Karlsbad und Franzensbad genug. Mit jeweils unterschiedlicher mineralischer Zusammensetzung erscheint es als die natürlichste Lösung für fast jedes Zipperlein.
Wo heutzutage viele Busreisen hinführen, setzte bereits im 19. Jahrhundert der Ansturm ein. Mit der Folge, dass überall Prachtbauten mondäner Bäderarchitektur wie Pilze aus dem Boden schossen. Dazu lang gezogene Trinkhallen, in deren ANZEIGEN Kolonnaden stilvoll ausstaffierte Herrschaften würdevoll entlangwandelten.
Über die hierarchische Rangordnung der einzelnen Bäder lässt sich trefflich streiten. Belegt ist allerdings, dass sich die gekrönten Häupter zur Kur eher in Marienbad ein Stelldichein gaben. Ihre Namen reichen von Franz Josef, Kaiser von Österreich, über den preußischen Fürst Bismarck bis hin zu König Eduard VII. von Großbritannien, den es allein neunmal in das eigens für ihn konstruierte private Luxusbad zog.
Prachtvolle Holzfassaden Im Zeitalter des Sozialismus fand die Kuranlage zwar weiter Verwendung, doch bröckelte langsam der Putz. Was aber niemanden sonderlich zu stören schien, solange die exquisiten Räumlichkeiten sozialen Ansprüchen genügten. Nach der Wende wurde die Wiederauferstehung des Kurkomplexes von Marienbad eingeleitet, sodass er heute einen realistischen Eindruck vermittelt vom betörenden Glanz der K.-u.-k.-Monarchie.
Leicht lässt sich in dem modernen Ambiente der immer noch lebendige Mythos vom alten Marienbad wiederfinden. Zum Beispiel in den prachtvoll restaurierten Hotelfassaden, in der im gründerzeitlichen Stil gestalteten Trinkhalle sowie in den großzügig gestalteten Parkanlagen und nicht zuletzt in den Festsälen, die auch heute wieder den würdigen Rahmen bieten für Feierlichkeiten und Kulturereignisse aller Art.
Für die meisten Besucher liegt der Schwerpunkt natürlich auf dem Therapieangebot. Dabei steht die Heilwasser-Therapie im Vordergrund. Nun jedoch hat man noch eine Gasquelle entdeckt, deren heilende Wirkung man sich zunutze macht.
Auch Karlsbad ist eine kleine Welt für sich. Fast noch mondäner ausgestattet als die Konkurrentin Marienbad, reicht hier die Bädertradition zurück bis ins 14. Jahrhundert. In jene Zeit, als Kaiser Karl IV. die nach ihm benannte Stadt mitsamt ihren Heilquellen zur Chefsache erklärte. Heute wäre die schmucke Stadt für ihn wohl kaum wiederzuerkennen. Sicher würde er seinen Nachfahren großes Lob aussprechen für das über die Jahrhunderte entstandene Gesamtkunstwerk.
Kein Wunder also, dass es den ersten russischen Astronauten Juri Gagarin nach seinem Weltraumausflug hierherzog. Zwar plagten ihn weder Stoffwechselprobleme, Gicht noch Diabetes, doch zum allgemeinen Wohlbefinden trugen auch bei ihm sicherlich die warmen Quellen rund um das Ufer der Tepl bei, die angenehm plätschernd den Ort durchfließt. Auch Daniel Craig soll sich angetan gezeigt haben, als er hier bei den Dreharbeiten zu „Casino Royale“weilte.
Hotels als Filmkulisse Immer wieder fanden auch ausgefallene Hotels Eingang in die Drehbücher. So das legendäre, über 300 Jahre alte Hotel Pupp, das bereits bei mehreren Filmen eine würdige Kulisse abgab. Wesentlich neueren Datums ist hingegen das Hotel Imperial, das in seinen riesigen Dimensionen unübersehbar seit mehr als hundert Jahren an einem Abhang über der Stadt thront. Noch heute ist es Treffpunkt für tschechische Staatsgäste und alle, die sich im alten imperialen Glanz sonnen möchten.
Noch etwas hat sich im Strudel der Jahrhunderte und über alle Herrschaftsformen hinweg erhalten: Es ist der Becherova-Kräuterlikör, von einem englischen Gast erfunden und als Rezept von der Familie Becher unter strengster Geheimhaltung aufbewahrt. Eine Kostprobe im Karlsbader Becher-Museum macht deutlich, warum dieses wohlschmeckende Kräuterelixier heute weltweit in mehr als 70 Ländern getrunken wird.
Bleibt noch das letzte und vielleicht erlesenste der drei Bäder, das Franzensbad. Es ist das kleinste zwar, aber in seiner architektonischen Geschlossenheit wohl das schönste. Einst gegründet von Kaiser Franz, hat sich sein weiß-gelbes Erscheinungsbild bis heute erhalten. Franzensbad strahlt eine unglaubliche Eleganz aus. Kein Wunder, dass sich einst auch Goethe von dieser bemerkenswerten Kulisse angezogen fühlte und hier schließlich doch seine Ruhe fand.