Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Frauen nehmen Gesundheit ins Visier
Zum Weltfrauentag informierte Berliner Fachjournalistin über „Gendermedizin“
RAVENSBURG - Gender-Medizin? Was ist denn das? Ein EmanzenHirngespinst? Der Unterschied, dass es Frauenärzte gibt, aber keine Männerärztinnen? Weit weg von Klischees und Schlagworten gab es zum Internationalen Frauentag eine Veranstaltung im Foyer des Elisabethenkrankenhauses unter der Überschrift „Frauen erkranken anders“. Die Berliner Medizinjournalistin und Sprecherin des Netzwerks „Gendermedizin“, Annegret Hofmann, zeigte auf, dass eine geschlechterspezifische Herangehensweise in der Medizin allen nutzen kann: Frauen und Männern, Jungen und Alten.
In einem kurzen, informativen Vortrag erläuterte Hofmann, dass eine verstärkte „personalisierte Medizin“, die biologische, psychische und soziale Aspekte im Blick hat, Sinn macht – und auch Kosten im Gesundheitswesen sparen könnte. Noch viel zu wenig werde in Prophylaxe, Diagnostik, Therapie, Reha und Pflege berücksichtigt, dass sich Krankheiten bei Männern und Frauen oft unterschiedlich äußerten.
Dafür gebe es inzwischen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, die aber noch viel zu wenig systematisch ausgebaut würden und vor allem in die medizinische Praxis einflössen. So seien nicht nur Symptome für bestimmte Erkrankungen bei Frauen und Männern unterschiedlich, zum Teil große Unterschiede gebe es auch bei der Verträglichkeit von Medikamenten und der Häufigkeit, mit der bestimmte Erkrankungen auftreten. Doch die Pharmaindustrie lasse sich immer noch nicht dazu bewegen, Medikamente besser den speziellen Anforderungen anzupassen – oder wenigstens in Beipackzetteln stärker zu differenzieren.
Ein Bündnis von acht Ravensburger (Frauen)Organisationen hatte die Veranstaltung zum Internationalen Frauentag vorbereitet, und das mit einem Thema, das auf den ersten Blick nicht ins übliche Raster passte. Die Veranstalterinnen waren auch so frei, zur anschließenden Fragerunde mit dem Publikum zwei erfahrene Ravensburger Ärzte – und keine Ärztinnen – aufs Podium zu bitten. Internist und Diabetologe Reinhard Kleemann bestätigte, dass gerade bei Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes markante Unterschiede bei Männern und Frauen zu beobachten seien. Er beklagte: „Dafür gibt es für uns Hausärzte viel zu wenig Information.“
Pflege beeinträchtigt Gesundheit Und noch eine geschlechterspezifische Verhaltensweise wusste er aus der Praxis zu berichten: Vor allem ältere Frauen vernachlässigten bisweilen ihre eigene Gesundheit, weil sie so stark in die Pflege kranker Angehöriger eingebunden seien. Günther J. Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Elisabethenkrankenhaus, stellte in seiner humorvollen Herangehensweise an das Thema „Gendermedizin“klar: „Es gibt keine geschlechterneutrale Wirklichkeit.“Statt das im Gesundheitswesen stets so knappe Geld in immer weitere Forschungsprojekte zu investieren, erachtete er Investitionen in die medizinische Praxis für sinnvoller. In seinem Ansatz („Mehr Geld für Patientengespräche statt für manche unnötige Medikation“) stimmte die Referentin des Abends, Annegret Hofmann, voll und ganz mit ihm überein: Gerade, wenn geschlechterspezifische Faktoren mehr beachtet würden, könnte sich manches unnötige Leiden und manche Verschwendung an Medikamenten vermeiden lassen.