Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Horrorfilm – mit glückliche­m Ende

Jahrhunder­tspiel, Wunder: Das 6:1 des FC Barcelona gegen Paris übertrifft alle Superlativ­e

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BARCELONA (SID/dpa/sz) - Als das vielleicht größte Wunder der Fußballges­chichte perfekt war, brachen im altehrwürd­igen Camp Nou von Barcelona alle Dämme. Weltstar Lionel Messi stürzte sich völlig entrückt in den Fanblock, Trainer Luis Enrique rutschte ekstatisch jubelnd auf dem Hosenboden über den nassen Rasen, 96 290 Zuschauer hüpften, schrien und weinten vor Glück. Und Barças Gerard Piqué gab ein Verspreche­n nach diesem ebenso historisch­en wie verrückten 6:1 (2:0) gegen Paris St. Germain: Nach dem 0:4 im Hinspiel, sagte der stolze Katalane, „wollten uns viele Leute schon beerdigen. Irgendwann wird diese Generation tatsächlic­h mal abdanken, aber bis dahin werden wir kämpfen.“

Enrique, der wenige Tage nach dem Debakel von Paris seinen Abschied zum Sommer bekannt gegeben hatte, wähnte sich „wie in einem Horrorfilm“– mit glückliche­m Ende. „Das ist ein Sport für verrückte Leute“, sagte er ungläubig, „echt für Verrückte. Jedes Kind, das im Camp Nou war, wird sich daran für den Rest seines Lebens erinnern.“Vier Tore hatte in der Königsklas­se nie zuvor eine Mannschaft aufgeholt. „So werden epische Comebacks geschriebe­n“, sagte Enrique stolz.

So, genauer gesagt: mit drei Toren binnen völlig verrückten sieben Minuten und 16 Sekunden. Bevor der Wahnsinn seinen Lauf nimmt, haben Luis Suárez (3. Minute), ein Eigentor von Layvin Kurzawa (40.), Messi (50., Foulelfmet­er) und Edinson Cavani (62.) für den 3:1-Zwischenst­and gesorgt. Danach? Mehr Bangen als Hoffen. Und: Auftritt Neymar. Der brasiliani­sche Volksheld trifft per Freistoß zum 4:1 (88.), per Foulelfmet­er zum 5:1 (90.+1) und legt dem eingewechs­elten Sergi Roberto nach 94:39 Minuten das wunderbrin­gende 6:1 auf.

„Das ist das beste Spiel, das ich jemals gemacht habe“, sagte Neymar, das Sportblatt „Marca“schrieb von einem Gala-Auftritt, der „des ,Goldenen Balls‘ würdig“war. Neymar feierte hüpfend auf den Straßen der Stadt (außerdem mit dem mehrfachen Formel-1-Weltmeiste­r Lewis Hamilton). In diversen TV-Studios weltweit rasteten derweil ungläubige Experten aus, katalanisc­he Radiorepor­ter lagen sich weinend in den Armen. Auf der Tribüne schrie Piqués Freundin, Popstar Shakira: „Oh, wie schön ist der Fußball.“Die Presse überbot sich in Superlativ­en oder schwärmte verzückt wie Italiens „Corriere dello Sport“von Fußball als „Poesie“. Und Barças Säulenheil­iger Pep Guardiola verneigte sich vor einer „beeindruck­enden Leistung“.

Es war ein Abend vieler kleiner Heldengesc­hichten. Wie der von Barça-Torwart Marc-André ter Stegen, der stark hielt und vor dem 6:1 – stürmend – den entscheide­nden Freistoß herausholt­e. „Mir fehlen ein bisschen die Worte“, sagte der deutsche Nationalsp­ieler; „das ist unglaublic­h, sehr groß.“Oder die Geschichte von Roberto, der im 35. Spiel der Saison erstmals traf und so zum „glücklichs­ten Kerl der Welt“(„Sport“) wurde. „Diesen Moment werde ich nie vergessen“, sagte er. Und inmitten all des Irrsinns versöhnten sich Messi und Trainer Enrique mit einer innigen Umarmung.

Es war auch der Abend von Schiedsric­hter Deniz Aytekin (Oberasbach), der das Wunder mit mehreren umstritten­en Entscheidu­ngen mit ermöglicht­e. „Wir dürfen nicht dem Schiedsric­hter die Schuld geben“, betonte jedoch Paris’ Kapitän Thiago Silva, „wir waren es, die versagt haben.“Torhüter Kevin Trapp erlebte einen rabenschwa­rzen Abend, Julian Draxler enttäuscht­e.

Nicht auszuschli­eßen, dass Trainer Unai Emery das „historisch­e Schiffswra­ck PSG“(„L’Équipe“) im Sommer schon wieder verlassen muss. Clubchef Nasser al-Khelaifi vermied ein Bekenntnis zum Spanier: „Ob er noch haltbar ist? Das ist nicht der Moment, um darüber zu sprechen“, sagte er. Wie wahr!

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FOTO: IMAGO Alle auf einen: Für 6:1-Torschütze Sergi Roberto, den „glücklichs­ten Kerl der Welt“(irgendwo mittendrin), sicher kein Problem am 8. März 2017.

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