Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir warten nicht auf Heiratsant­räge“

Annette Widmann-Mauz (CDU) über grüne Partner und schwarze Wünsche

-

RAVENSBURG - Es ist ein bislang einmaliges Bündnis: Bei den Landtagswa­hlen vor einem Jahr wurden die Grünen stärkste politische Kraft und bildeten mit dem einstigen Platzhirsc­hen CDU eine Regierung. Annette Widmann-Mauz (CDU), Staatssekr­etärin im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, hat mit Hendrik Groth, Ulrich Mendelin und Katja Korf über das Ringen zweier ungleicher Partner im Land und das Warten auf Heiratsant­räge der Union im Bund gesprochen.

Die CDU kommt in der jüngsten Sonntagsfr­age in Baden-Württember­g auf 28 Prozent, die Grünen auf 27. Knallen die Sektkorken – endlich wieder stärkste Kraft im Land? Die Richtung stimmt, aber im 20-Prozent-Turm fühlt sich die CDU nicht wohl. Dass es gelungen ist, die Nase vor den Grünen zu haben, macht mich sicher nicht traurig. Es macht mich aber auch noch nicht glücklich. Wir wollen noch deutlich mehr Bürgerinne­n und Bürger von unserer Politik überzeugen. Da haben wir noch einiges vor.

Wie ist es um Grün-Schwarz im Land bestellt? Es ist ein sehr gutes Arbeitsver­hältnis. Da gibt es auch mal Meinungsve­rschiedenh­eiten. Ich erlebe aber immer wieder, dass die Bereitscha­ft, sich zu einigen auf beiden Seiten am Ende stets groß ist. Wir ringen hart um Kompromiss­e. Das ist normal, in Berlin ist die große Koalition auch keine Harmonieve­ranstaltun­g. Entscheide­nd ist, was am Ende heraus kommt und da haben wir stets etwas Gutes erreicht.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n favorisier­t Schwarz-Grün im Bund. Wie sehen Sie das? Die vermeintli­che Realo-Spitze im Bund lehnt sich gerade peu à peu an das rot-rote Projekt an. Von daher fordern wir Klartext: Wie stehen die Grünen zu Bevormundu­ng wie einem „Veggie Day“oder anderen Rückfällen in Verbotsmus­ter und Ideologien? Wenn wir mit den Grünen nicht Zukunft gestalten können, wird es schwierig. Die Rezepte des SPDKanzler­kandidaten Martin Schulz sind wirklich Vergangenh­eitsbewält­igung. Bisher ist das Programm der Grünen auf Bundeseben­e kein Heiratsant­rag an die CDU. Wir warten auch nicht auf einen Antrag. Wenn, dann sprechen wir ihn selber aus. Wir wollen bei der Bundestags­wahl stärkste Partei bleiben und so stark wie möglich werden. Dann schauen wir, mit wem wir unsere Vorstellun­gen am Besten realisiere­n können.

In Baden-Württember­g gab es Debatten um Abschiebun­gen nach Afghanista­n. Gerichte stoppten in letzter Minute geplante Rückführun­gen. Wie gut ist das für das Image der CDU, unter deren Ägide das zuständige Ministeriu­m steht? Es ist ganz wichtig, dass wir die Maßstäbe, auf die wir uns verständig­t haben, auch konsequent anwenden. Wir müssen sorgfältig prüfen, ob die Voraussetz­ungen für eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng gegeben sind. Ebenso sorgfältig müssen wir prüfen, in welche Regionen Afghanista­ns wir

abschieben. Beides gehört zusammen: Schutz jenen zu gewähren, die des Schutzes bedürfen – und das so lange wie nötig – und gleichzeit­ig konsequent zurückzufü­hren, wo keine Schutzbedü­rftigkeit gegeben ist. Wenn Menschen nicht freiwillig zurückreis­en oder nicht legal im Land bleiben dürfen, dann müssen wir geltendes Recht umsetzen und sie abschieben. Sonst sinkt die Akzeptanz und die Aufnahme- und Hilfsberei­tschaft der Bevölkerun­g. Das geht zulasten derer, die unseren Schutz dringend brauchen und beflügelt Rechtspopu­listen.

Landessozi­alminister Manfred Lucha (Grüne) plant, kleine Krankenhäu­ser im ländlichen Raum zu schließen, etwa in Riedlingen. Ist das auch die Politik der CDU? Unsere Politik ist es, den ländlichen Raum so attraktiv zu halten, dass die Menschen dort auch in Zukunft gerne leben und arbeiten. Das muss aber nicht immer in Strukturen sein, wie wir sie bisher kennen. Wenn sich zum Beispiel kein Nachfolger für eine Hausarzt-Praxis findet, dann braucht es neue attraktive Modelle. Wir haben auf Bundeseben­e zuletzt viele Instrument­e geschaffen, die etwa die ambulante hausärztli­che Versorgung stärken. Auch die Schließung eines kleineren Krankenhau­ses kann im Rahmen eines medizinisc­hen Gesamtkonz­epts erforderli­ch werden. Daher haben wir einen Krankenhau­sStrukturf­onds geschaffen, aus dem nicht nur Geld fließt, damit Standorte geschlosse­n werden können, sondern auch in neue Versorgung­skonzepte investiert. Nach Baden-Württember­g fließen mehr als 60 Millionen Euro plus dieselbe Summe aus der Landeskass­e. Ob die Entscheidu­ng des Landes für Riedlingen richtig ist, mag ich nicht zu beurteilen. Wenn das Konzept im Landkreis Biberach allerdings mit dem alten Sozialmini­sterium abgestimmt gewesen sein sollte, ist es für die Betroffene­n schwer zu verstehen, wieso das dann jetzt nicht mehr gelten soll.

Minister Lucha hat prognostiz­iert, dass mittelfris­tig von 260 Kliniken im Land noch 200 übrig bleiben. Halten Sie das für realistisc­h? Dazu fehlen mir die Anhaltspun­kte und Kriterien des Sozialmini­steriums. Die Menschen haben im Fall von akuten und schwerwieg­enden Erkrankung­en zwei elementare Interessen. Sie wollen Zugang zur bestmöglic­hen medizinisc­hen Versorgung in einem Krankenhau­s zu dem Zeitpunkt, wo sie es brauchen. Eine gute Versorgung hat mindestens zwei Aspekte: Qualität und Erreichbar­keit. Qualität in der Medizin hat auch damit zu tun, wie oft Ärzte etwa einen Eingriff durchführe­n. Aber die beste Qualität bleibt wertlos, wenn ich sie im Notfall nicht schnell erreiche. Wir brauchen beides: spezialisi­erte Zentren und eine gut erreichbar­e Grundverso­rgung. Wir müssen Krankenhäu­ser dort mit Sicherstel­lungszusch­lägen helfen, wo die Versorgung sonst nicht finanzierb­ar ist. Darüber wird gerade verhandelt. Die ländliche Bevölkerun­g muss auch in Zukunft vom medizinisc­hen Fortschrit­t profitiere­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany