Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
EU-Gipfel mit Blockaden und der Sehnsucht nach Einheit
Staats- und Regierungschefs einigen sich in Brüssel auf eine vage Erklärung über die Zukunft Europas – Kritik an Haltung Polens
BRÜSSEL (dpa) - Der Ton ist feierlich, die Zielsetzung hehr in der ersten Ideensammlung für die Erklärung der Europäer zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Von Stolz auf das Erreichte ist die Rede und vom „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“. Vielleicht brauchten die EU-Staats- und Regierungschefs die salbungsvolle Prosa am zweiten Tag ihres Gipfels in Brüssel, nach dem Hickhack mit Polen um die Wahl des EU-Ratspräsidenten.
Die Polen scheiterten am Vortag mit einem aussichtslosen Aufstand gegen die Wiederwahl ihres politisch missliebigen Landsmanns Donald Tusk und verkündeten deshalb den Boykott der Gipfelbeschlüsse. Was wiederum die übrigen 27 Länder schwer erboste. Der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel schäumte noch am Freitagmorgen über die „Trotzreaktion aus einer Ecke“, in der man sich „nicht wie ein Erwachsener benimmt“.
Die Sehnsucht nach dem „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“liegt also nahe. Auch Kanzlerin Angela Merkel hob nach Ende des Brüsseler Gipfels am Freitag darauf ab. Sie suchte einen positiven Abschluss der beiden turbulenten Tage und erinnerte daran, dass die EU „bei allen Problemen, die wir haben, ein gelungenes Modell ist“.
Die vier Seiten der „Agenda von Rom“, die unter der Hand in Brüssel kursierten, führten „mögliche Elemente“ für die Erklärung auf, die in zwei Wochen bei einem Sondergipfel in Rom veröffentlicht werden soll. „Mögliche Elemente“, das klang hinreichend vage – keiner soll übergangen werden. Denn die EU-Partner haben sich aneinander wund gerieben. Die Kleinen fühlen sich ausgebootet von den Großen – von Deutschland. Der Süden fühlt sich wirtschaftspolitisch gegängelt vom Norden – von Deutschland. Dem Osten passt die ganze Linie nicht.
Neuer „Eiserner Vorhang“Merkels Eintreten für ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“hat das Misstrauen nicht gelindert – im Gegenteil. Einige Länder interpretierten den Vorschlag als Trennlinie und „neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West“, berichtete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus der Diskussion vom Freitag.
Die Befürworter – das sind neben Merkel auch Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und andere – versprechen sich davon, den Tanker EU flott zu halten. Und alle gemeinsamen Projekte blieben jederzeit für alle offen, beteuerte die Kanzlerin. Aber man kann das Konzept eben auch sehen als Schuss vor den Bug der Querulanten.
Wird die Union irgendwann wirklich geeint? Der Polen-Eklat wirkte wie der Gegenbeweis – überflüssige Diskussionen, „die letztendlich die Lebenswirklichkeiten der europäischen Bürger und Bürgerinnen nicht berühren“, wie Österreichs Kanzler Christian Kern feststellte.
Man kann diese Episode aber auch anders lesen. Unabhängig von den üblichen Grüppchen haben sich 27 Länder zusammengerauft und einen Quertreiber einfach stehen lassen. Das klingt fast nach dem „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“.