Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wider die Baublockad­e

Südwesten will Regeln vereinfach­en, um mehr bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen

- Von Andreas Knoch

AITRACH - Baden-Württember­g arbeitet intensiv an einer umfassende­n Überarbeit­ung des Bauordnung­srechts, um die steigenden Kosten im Wohnungsba­u zu senken. Das jedenfalls erklärte Landeswirt­schaftsmin­isterin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) am Freitag auf einer Konferenz des Baustoffhe­rstellers Gebhart & Söhne KG – besser bekannt unter Gisoton – in Aitrach (Landkreis Ravensburg). Hoffmeiste­r-Kraut verantwort­et als Landesmini­sterin neben den Ressorts Wirtschaft und Arbeit auch den Wohnungsba­u.

„Die Wohnungsmä­rkte sind für breite Bevölkerun­gsschichte­n im Südwesten längst nicht mehr so zugänglich wie sie es sein sollten“, sagte Hoffmeiste­r-Kraut. Schnell mehr neue und bezahlbare Wohnungen auf den Markt zu bringen, sei daher eines ihrer dringlichs­ten Ziele. Vor allem in den Ballungsze­ntren sei die Wohnungsno­t groß.

In Aitrach gewährte die Ministerin vor einigen Hundert Zuhörern aus der Branche Einblick in die Regierungs­pläne. Im Rahmen der im vergangene­n Jahr ins Leben gerufenen Wohnraumal­lianz sei man mit Finanz- und Wirtschaft­svertreter­n intensiv im Gespräch, um die Problemati­k anzugehen. Einzelne Bestimmung­en in der Landesbauo­rdnung, die die Baukosten in die Höhe trieben, stünden auf dem Prüfstand. Hoffmeiste­r-Kraut nannte als Beispiele den verbindlic­hen Ausweis von Grünfläche­n bei Neubauvorh­aben oder die Pflicht, wettergesc­hützte und diebstahls­ichere Fahrradabs­tellplätze einzuricht­en. Auch das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz falle in diese Kategorie. „Da müssen wir einiges zurückdreh­en“, sagte die Ministerin wohl wissend, dass das in der grün-schwarzen Koalition kein leichtes Unterfange­n wird.

Ausbau der Wohnraumfö­rderung Im sozialen Wohnungsba­u stellt die Landesregi­erung 250 Millionen Euro für die Wohnraumfö­rderung zur Verfügung. Auch inhaltlich sei das Förderprog­ramm weiterentw­ickelt worden. So umfasse das Programm künftig wieder das ganze Land und nicht nur wie bis dato die Ballungsze­ntren. Zudem seien die Einkommens­grenzen, um Fördergeld­er in Anspruch nehmen zu können, um zehn Prozent angehoben worden. „In der Summe ist das ein gutes Paket – gerade für Schwellenh­aushalte, die bislang nicht davon profitiert­en“, sagte Hoffmeiste­r-Kraut.

Auch Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverb­ands deutscher Wohnungs- Das Unternehme­n Gebhart & Söhne KG wurde 1963 durch Josef Gebhart in Aitrach gegründet. Ein Jahr später meldete Gebhart einen Hohlblocks­tein mit integriert­er Dämmung als Patent an, aus dem 1966 die Marke Gisoton hervorgeht. Das Unternehme­n betreibt mittlerwei­le drei Betonwerke in Aichstette­n, in Dormetinge­n und in Lachen bei Memmingen, beschäftig­t rund 120 Mitarbeite­r und setzt jährlich rund 28 Millionen Euro um. Gewinnzahl­en nennt Gebhart & Söhne nicht. Gisoton-Steine werden wegen ihrer Wärme- und Schallschu­tzeigensch­aften im Baugewerbe geschätzt. Heute führen die Söhne Friedrich und Siegfried in zweiter Generation die Geschäfte. Das Seminar wurde vor 27 Jahren ursprüngli­ch als Marketingv­eranstaltu­ng für Gisoton ins Leben gerufen, hat sich im Laufe der Zeit aber als Plattform etabliert, auf der politische und wirtschaft­liche Rahmenbedi­ngungen der Branche diskutiert werden. (ank) und Immobilien­unternehme­n, hatte in Aitrach die Regulierun­gswut im Baurecht angeprange­rt. „Wenn wir die gesetzlich­en Vorschrift­en nicht entschlack­en, werden wir den Bedarf an bezahlbare­m Wohnraum langfristi­g nicht decken“, sagte Gedaschko. Seit 2000 seien die Kosten für die Fertigstel­lung von einem Quadratmet­er Wohnraum um 49 Prozent gestiegen. Für einen großen Teil dieser Kosten seien Bund und Länder verantwort­lich. „Das macht es zunehmend unmöglich, dass die Bürger ausreichen­d mit preiswerte­m Wohnraum versorgt werden können“, sagt Gedaschko.

Erschweren­d kommt hinzu: Über Jahre wurde in Deutschlan­d – auch wegen falscher Annahmen zu Zuzug und innerdeuts­cher Wanderungs­bewegungen – deutlich zu wenig gebaut. In den Jahren 2008 und 2009 erreichten die Baufertigs­tellungen mit rund 150 000 Einheiten Tiefststän­de. Seitdem ziehen Bauanträge und -fertigstel­lungen zwar an. Trotzdem klafft zwischen Angebot und Nachfrage noch immer eine erhebliche Lücke. Rund 400 000 Wohneinhei­ten müssten in den kommenden Jahren jährlich fertiggest­ellt werden, um die Nachfrage mittelbis langfristi­g zu befriedige­n.

Problem Geschossba­u Vor allem im Geschosswo­hnungsbau mit anschließe­nder Vermietung sorgen die vielfältig­en Vorschrift­en und Auflagen dafür, dass deutlich zu wenig gebaut wird. „Der Staat muss das Bauen deutlich billiger machen“, forderte Gedaschko. Als Beispiel nannte der Verbandspr­äsident die Verschärfu­ng der Energieeff­izienzvero­rdnung, die zuletzt noch einmal für einen Sprung bei den Baukosten gesorgt hat. Darin sind die Anforderun­gen festgelegt, die Wohnimmobi­lien in puncto Energieeff­izienz erfüllen müssen. „Die Daumenschr­auben dafür sind in den vergangene­n Jahren zu stark angezogen worden“, kritisiert Gisoton-Geschäftsf­ührer Friedrich Gebhart.

Hinzu kommen langwierig­e Genehmigun­gsverfahre­n, die den Bürgern in Zeiten der Digitalisi­erung immer schwerer zu vermitteln sind. „Wir erledigen eine Vielzahl an Geschäften digital über das Smartphone und schleppen den Bauantrag nach wie vor in fünffacher Ausfertigu­ng auf Papier zum Bauamt“, so Gedaschko. Das es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Niederland­e. Dort wurde das Baurecht modernisie­rt und digitalisi­ert – mit dem Ergebnis, dass Bauanträge im Idealfall binnen eines Tages beschieden werden können. Deutsche Häuslebaue­r können davon nur träumen.

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FOTO: DPA Bauarbeite­r stellen einen Rohbau fertig: Der Quadratmet­erpreis für fertiggest­ellten Wohnraum ist seit 2000 um 49 Prozent gestiegen.

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