Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mitten ins Herz gespielt
Zwei Duos aus Wien zu Gast in der Zehntscheuer
RAVENSBURG - Bereits im vergangenen Herbst hatte die Zehntscheuer besondere Ensembles aus Österreich eingeladen. Nun waren – zum Beginn der diesjährigen Kooperation mit dem Konzerthaus – zwei männliche Duos aus Wien erstmals zu Gast: „Vila Madalena“als 40-minütiger Anheizer im Vorprogramm und „BartolomeyBittmann“mit satten anderthalb Stunden Konzert. Eine gute Wahl.
Auftritt mit Hut und Sonnenbrille als „Mafiosi light“: Nach einem Stadtteil in São Paulo benennen sich der Serbe Nikola Zaric und der Wiener Franz Oberthaler, die beide auf ihren Instrumenten, dem Akkordeon wie der Klarinette, einen süffigen Mix aus Gipsy-Balkan und brasilianischem „Choro“, der in diesem Viertel Vila Madalena gespielt wird, ganz zu Hause sind. Vor allem Zaric ist ein Virtuose auf dem Knopfakkordeon, das den voluminösen Background oder den kompliziert gegenläufigen Rhythmus PR−ANZEIGE zu den oft spitzig zitternden Tönen der Klarinette macht. Die Moderation der beiden ist zwar noch etwas bemüht und beim gemeinsamen Gesang, einem aus dem Brasilianischen ins knarzend Wienerische übertragenen Lied „Me deixa em paz!“, fehlt irgendwie der nötige Charme. Den haben jedoch die Instrumente locker drauf, wenn sie über ihren früheren Übungsort „Cafè Bohemi“im berüchtigten Wiener Stadtteil Favoriten in orientalisch leiernder Weise musikalisch herziehen.
Nach diesem animierenden Vorspann beginnt der Hauptteil: Zwei schwarz gekleidete, jugendlich wirkende Männer kommen mit einem zierlichen Cello, einer Geige und einem Instrument, das aussieht, als habe man einer Laute den Bauch flach abgesägt, auf die Bühne. Es ist ein Unikat, das der Grazer Geiger Klemens Bittmann entwickelt hat, und er nennt es Mandola. Seine Geige stammt von 1817 und aus der Werkstatt Josephus Pauli, das Cello des Wiener Cellisten Matthias Bartolomey, der seit 2012 im Ensemble von Nicolaus Harnoncourt als Solocellist spielt, wurde dagegen in Rom 1727 von David Tecchler gefertigt. Man muss das nicht unbedingt wissen, aber der wunderbare Klang der beiden alten Instrumente ist umwerfend – und er wäre es vermutlich sogar ohne Verstärkung.
Stilzuschreibung ist unnötig Die Bescheidenheit in Bittmanns Moderation ist mit Ironie gewürzt – denn jeder hat eine beeindruckende Karriere als Solist hinter sich und zusammen sind sie auch schon mehrere Jahre mit eigenen Kompositionen als Duo unterwegs. Auf der Bühne wirkt das wie ein spontanes, unmittelbares Musizieren und oft wie Improvisation, dabei ist alles erdacht, durchkomponiert und geübt. Es gebe nun mal keine Literatur für diese Besetzung, sagt Bittmann, also hätten sie das schreiben müssen, was sie selbst gerne hören würden. So einfach ist das! Eine Stilzuschreibung kann man sich sparen. Denn es ist nachdrücklich kein Crossover, keine pürierte oder verrockte Klassik, keine World-Anleihemusik. Stattdessen erfährt das Ohr ein aufwühlendes Klangerlebnis, das meist direkt auf den Solarplexus zielt, von seiner Phonzahl öfters an die Grenze der Duldung reicht und einen völlig in Anspruch nimmt. Die Stimmung im Saal: konzentriert, atemlos, andächtig, kein Zwischenapplaus.
Auch die Titel der aktuellen CD „Neubau“spielen keine große Rolle bei diesen energiegeladenen, durchpulsten Kompositionen, die ihre Inspiration aus Alter und Neuer Musik gründlich reflektiert haben, um dann einen ganz eigenen Raum zu durchmessen. Oft ist es nur ein gehaltener Ton, eine kleine musikalische Sequenz, von der aus – und in der Ausschöpfung aller tonalen und perkussiven Möglichkeiten der drei Instrumente – sich ein Stück zum Klanguniversum entwickelt. Eine großartige Hörerfahrung, Chapeau!