Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Viele Bochumer Warnschüsse
Beim 1:1 im eigenen Stadion verteidigt Tabellenführer VfB Stuttgart lange viel zu sorglos
STUTTGART – Viele Mitglieder der zweiten Bundesliga haben in den letzten Wochen reichlich Angst vor dem souveränen Tabellenführer VfB Stuttgart gezeigt. Oder zumindest über Gebühr Respekt. Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht etwa sagte nach dem 1:1 am Montag: „Ich bin mir sicher, wir werden den VfB im nächsten Jahr nicht mehr hier sehen.“Ein Satz, der die eigenen Fans etwas deprimierte. Ihr Trainer scheint also an den Aufstieg Stuttgarts zu glauben, nicht aber an den eigenen. Vom VfL Bochum war dagegen vor diesem Duell überraschend Rebellisches zu hören gewesen: „Wir haben schon gezeigt, dass wir gegen Teams, die mitspielen wollen, gut mithalten können“, hatte VfL-Trainer Gertjan Verbeek gesagt. Das war ja mal 'ne Ansage.
30 Quadratmeter Platz Und dann? Hätte sich der VfB tatsächlich nicht beklagen können, wäre er bei diesem Spiel, das am Ende doch 1:1 endete, nach 24 Minuten bereits 0:3 hinten gelegen im eigenen Stadion und nicht nur mit 0:1. In der Abwehr präsentierten sich die Stuttgarter derart sorglos, ja fast naiv, dass man sich an ein gewisses 0:5 in der Vorrunde bei der Fußball-Weltmacht Dynamo Dresden zurückerinnerte. Das lag keineswegs an Benjamin Pavard, der innen für den gesperrten Marcin Kaminski verteidigte, sondern an der kompletten Mannschaft, die den Gegner offenbar zu leicht nahm und jedem Einzelnen gefühlte 30 Quadratmeter Raum zur Entfaltung gewährte. Bochum bedankte sich: Nach neun Minuten hatte Nils Quaschner alle Zeit der Welt, um den mutterseelenallein winkenden Anthony Losilla zu bedienen, der Mitch Langerak im VfB-Tor keine Chance ließ. Emilano Insúa, auf dessen linker Seite das Gegentor fiel, hatte das Verteidigen an der Mittellinie eingestellt. Nach 21 Minuten entwischte Peniel Mlapa Bewacher Timo Baumgartl und verpasste das Tor nur um Zentimeter, kurz darauf war es Johannes Wurtz, der freistehend über den Querbalken donnerte.
Nach 31 Minuten zog VfB-Trainer Hannes Wolf, ein gebürtiger Bochumer, die Konsequenz aus den ungestörten Kontern der Gäste. Anto Grgic, Stuttgarts Sechser und Gewinner der letzten Wochen, musste raus, der 20-Jährige hatte weder Zugriff noch Bindung zum Spiel gefunden, Matthias Zimmermann ersetzte ihn. Tatsächlich war der VfB nun wach und kam bis zur Pause zu diversen guten, wenn auch nicht hundertprozentigen Chancen (Gentner, Asanao und Terodde). Über Terodde, seinen früheren Stürmer, hatte Verbeek übrigens gesagt: „Ich habe keine Angst vor ihm. Er trägt vielleicht eine Maske, aber er wird blaue Augen haben.“Die Maske trug er wegen eines Nasenbeinbruchs.
Vor Daniel Ginczek hatten einst sogar Erstliga-Verteidiger Bammel. „Wir wissen ja alle, wo das bei ihm geendet hätte“, sagte Wolf kürzlich über den 25-Jährigen, der vor zwei Jahren in überragender Form war, ehe er sich schwer verletzte. Gemeint war: in der Nationalmannschaft. Seit Monaten baute Wolf den Stürmer behutsam auf, am Freitag wurde er dafür belohnt. Ginczek, ebenfalls ein Ex-Bochumer, kam nach 58 Minuten für Julian Green – und traf zwölf Minuten später erstmals seit seinem Comeback vor fünf Monaten ins Schwarze. Achtmal war er seither eingewechselt worden, für insgesamt 142 Spielminuten. Es war ein Abstaubertor, dem eine formidable Kombination über Gentner, Terodde und Carlos Mané vorausging.
Verdient hatte sich der VfB den Ausgleich. Unermüdlich liefen und rannten die Stuttgarter nach der Pause das VfL-Tor an, am Ende waren sie dem Sieg näher als Bochum. Die Westfalen allerdings hatten sich das Remis ebenfalls verdient: Kein Gast trat in der Mercedes-Benz-Arena bis dato beherzter und mutiger auf in dieser Saison. Für den VfB war die Partie ein Warnschuss – ein Selbstläufer wird der Wiederaufstieg nicht. „Das ist eine gerechte Punkteteilung. Nach 30 Minuten hätte Bochum viel höher führen können, danach haben wir uns gefangen. Wir müssen mit dem Punkt leben“, sagte Terodde.
Stuttgart: Langerak – J. Zimmer, Baumgartl, Pavard, Insua – Grgic (31. Mat. Zimmermann) – Mané, Gentner, Asano (66. Maxim), Green (58. Ginczek) – Terodde. – Bochum: M. Riemann – Dawidowicz (46. Gyamerah), Hoogland, Bastians, Rieble – Losilla, Stiepermann (46. Canouse) – Gündüz, Wurtz, Quaschner – Mlapa (60. Pavlidis). – Zuschauer: 45 300. – Tore: 0:1 Losilla (10.), 1:1 Ginczek (70.).