Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Hände weg vom Steuer
Continental in Lindau arbeitet am autonomen Wagen der Zukunft – Schritt für Schritt wird die Welt des Fahrens verändert
Dem autonomen Fahren soll die Zukunft gehören. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat dazu einen Gesetzesentwurf eingebracht, der aber am Freitag im Bundestag von der Opposition heftig kritisiert wurde. Wie sich Autofahren ohne Hände am Lenkrad (Foto: Christian Flemming) anfühlt, hat unser Reporter bei einer Testfahrt auf der Autobahn 96 im Allgäu erlebt.
LINDAU - Das größte Problem auf dem Weg zum autonomen Fahren ist womöglich nicht die Technik, sondern der Kopf. Zumindest fühlt es sich so an auf einer Teststrecke bei Continental in Lindau am Steuer eines Kompaktwagens. Der Plan: Auf ein etwa 100 Meter entferntes Objekt zufahren, kurz vor Erreichen des Ziels vom Gas gehen und dann – nichts tun. Salopp gesagt: Abwarten und Tee trinken, wie die Technik dann reagiert. Die Technik schließlich würgt die Geschwindigkeit in Sekundenschnelle ab, bringt den Wagen abrupt und nur wenige Zentimeter vor dem Objekt zum Stillstand. Der Fahrer landet im Gurt.
Solche Bremsassistenten für den Notfall gibt es schon in vielen Serienfahrzeugen, bewusst auf einer Teststrecke eingesetzt, vermitteln sie aber schon heute einen Eindruck, was auf den Menschen zukommt in Sachen autonomes Fahren, was es bedeutet, die komplette Verantwortung an das Auto zu übertragen. Was nicht zuletzt ein grenzenloses Vertrauen des Menschen in die Technik voraussetzt, geht es in brenzligen Situationen auf der Straße doch um nicht weniger als Leben oder Tod. Eine faszinierende, aber auch eine unheimliche Vorstellung.
Auto-Technik von morgen Bei Continental in Lindau, auch Conti genannt, arbeiten sie Stück für Stück daran, dieser Welt den Schrecken zu nehmen, hier entsteht die Auto-Technik von morgen, verbunden mit allen Konsequenzen für das urbane Leben in der Zukunft.
„Alles, was sonst der Mensch über seine Haut, seine Augen, seine Ohren wahrnimmt, versuchen wir über die Technik zu erfassen“, erklärt Michael Fieseler, Sprecher bei Continental in Lindau, die Ausgangslage. Dabei entstehen dort, wie auch bei einigen anderen Firmen, Fahrassistenzsysteme, wie sie Autofahrer bereits kennen und in erweiterter Form noch kennenlernen werden, weil kaum ein Bereich in der Automobilbranche derartig boomt. Als Continental 2010 den Standort in Lindau ausbaute, arbeiteten dort rund 300 Personen. Heute sind es 800, Tendenz schnell steigend. Der Altersdurchschnitt ist niedrig, durch Foyer und Gänge der Flachbauten mit Büros, Werkstätten und Labors laufen zumeist junge Menschen, wer kein Laptop mit sich trägt, fällt auf. „Wir wollen eine Art Start-upAtmosphäre schaffen“, sagt Michael Fieseler. Das gelingt zumindest im Ansatz, keine Selbstverständlichkeit, ist Conti doch ein Megakonzern mit einem Umsatz von zuletzt 40,5 Milliarden Euro. Davon entfällt auf das Lindauer Geschäftsfeld die beachtliche Summe von rund einer Milliarde Euro. Die soll sich schon bis 2020 verdoppeln. Das scheint realistisch, trägt doch fast jedes Auto, das auf diesem Planeten fährt, ein Teil von
Conti mit sich, was für Mitbewerber wie Bosch oder ZF allerdings auch gelten mag. Die Vorteile dieser Technik erklärt Marcel Verweinen, Continental Standortleiter in Lindau, der „Schwäbischen Zeitung“so: „Die Fahrassistenzsysteme dienen dazu, den Fahrer zu entlasten, die Sicherheit zu erhöhen sowie den Verkehrsfluss zu verbessern, was letztlich Kosten spart.“Kürzer: Komfort, Sicherheit, Kostenersparnis.
Das sind schlagende Argumente für den Kunden. Umfragen zufolge ist die Fahrzeugsicherheit für den Käufer der wichtigste Faktor, der demografische Wandel mit zunehmend älteren Fahrern wird diese Tendenz nur verstärken. Geht der Blick weiter, soll das autonome Fahren alten Menschen ein Leben lang Mobilität ermöglichen. Auch behinderte Menschen und Jugendliche gehören dann möglicherweise zur Zielgruppe. Und vielleicht geht eines Tages das Kind alleine auf die morgendliche Autofahrt zur Kita.
Wie weit die Technik schon ist, zeigt sich zuerst in den kostspieligen Oberklassewagen und bricht sich im Laufe der Zeit auf die unteren Klassen herunter. Ein solcher Oberklassewagen
steht an diesem Tag auf dem Contigelände bereit, ein 7er-BMW. Zunächst geht es auf die Autobahn 96, am Steuer ist Testfahrer Bastian Werner, der gleich mal feststellt: „Der größte Fehlerfaktor beim Autofahren ist der Mensch.“Dann nimmt er die Hände vom Steuer, legt sie auf den Oberschenkeln ab und plaudert mit dem Nebenmann. Dass in wenigen Hundert Metern ein Lastwagen über die rechte Spur schleicht, stört ihn nicht weiter.
Normalerweise würde jetzt ein Alarmsignal einsetzen, weil der Fahrer laut Gesetz die Kontrolle über den Wagen nicht abgeben darf, diese ist jedoch dank einer Sondergenehmigung im Testwagen ausgeschaltet.
Das Auto nähert sich schließlich dem Lkw – und bremst sanft von alleine ab. Technisch wäre ein Ausweichmanöver auf die linke Spur auch kein Problem. Gerät der zweieinhalb Tonnen schwere BMW in der Folge etwas nach rechts oder links, findet er autonom zurück in die Spur. Bei geringen Geschwindigkeiten, das zeigt sich später auch auf dem Land, fährt das Auto wie von allein, nur bei scharfen Kurven, etwa im Kreisverkehr, übernimmt der Fahrer. Staut es sich zur Innenstadt hin, ist die Stop-and-go-Fahrt wieder alleine Sache des Autos.
Was dem Fahrer die höchst mögliche Sicherheit und Entspannung bringen soll, ist das Zusammenspiel
von Kameras, Radar, Lasertechnik und Ultraschall, jeweils durch hohe Datenmengen und komplizierte Algorithmen auf ihre Funktionsweisen abgestimmt und verbunden.
Tiererkennung und Einparkhilfen „Es geht darum, immer mehr Objekte und diese besser zu erkennen und damit auf komplexere Szenarien reagieren zu können“, sagt Testfahrer Werner. Die Möglichkeiten dabei sind enorm. Volvo etwa hat schon vor Jahren einen Erkennungsassistenten eingesetzt, der für Fußgänger bremst, für Tiere aus Sicherheitsgründen aber nicht unbedingt, es sei denn sie haben die Größe eines Elchs oder Pferdes, weil diese beim Aufprall den Fahrer gefährden.
Sehnsüchtig warten Kunden auf Einparkhilfen, die über Ultraschall und Radar funktionieren, die der Fahrer über Fernsteuerung außerhalb des Autos einsetzt. Unfälle sollen vermieden werden, indem etwa das Auto informiert, wenn sich ein Motorrad nähert. Wichtig wird in Zukunft auch die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation sein. Führt jemand eine Notbremsung aus, sendet das Auto eine Warnung an nachfolgende Wagen. Oder nähert sich ein Rettungswagen, erhält der Fahrer diese Information über das Display.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, einem Laien könnte schwindelig werden, auch angesichts der Zukunft. Die ist für Unternehmen wie Conti allerdings schon klar. Was heute in Serienautos steckt, firmiert unter Teilautomatisierung, ab 2020 soll dann die Hochautomatisierung einsetzen, wobei „der Fahrer auf der Autobahn bereits bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten die Fahrverantwortung abgeben“kann, wie Conti schreibt. Ab 2025 kommt schließlich die Vollautomatisierung, bei der „das Fahrzeug auf der Autobahn bis 130 km/h automatisiert gesteuert wird“, was ermöglicht, „Fahrzeit in Freizeit zu verwandeln“.
Das klingt simpel, ist es aber nicht, weil viele Fragen offenbleiben. Nur eine davon ist die nach der Sicherheit, denn bei autonomen Testfahrten kommt es immer wieder zu Unfällen, auch zu tödlichen. Noch wichtiger werden rechtliche, ethische und moralische Faktoren sein. „Beim automatisierten Fahren muss die Haftungsfrage geklärt werden“, sagt auch Conti-Standortchef Marcel Verweinen. Die Gesetzesvorlage von Verkehrsminister Alexander Dobrinth (sieh Text unten) kann da allenfalls ein Anfang sein.
In diesem Zusammenhang stellen sich auch Fragen, wie ein Auto zu programmieren ist, wie es sich verhalten soll: Fährt es beispielsweise in einer Notsituation in eine Menschenmenge oder in einen einzelnen Fußgänger, wenn es nur diese beiden Alternativen gibt? Lenkt der Wagen in einen hochexplosiven Tankwagen oder in einen Fußgänger? Wer soll sterben, wer darf leben?
Moralische Verantwortung lasse sich nicht „weg-algorithmisieren“, sagte der Philosoph Rafael Capurro in einer Diskussion mit Conti-Chef Elmar Degenhart. Vor allem nicht bei einer so komplexen Sache wie dem Straßenverkehr. „Wir können nicht jede Situation, die eintreten kann, vorhersagen“, so Capurro.
Diese schwierigen Gemengelagen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fahrassistenzsysteme schon viele Menschenleben gerettet haben und dies auch künftig tun werden. Optimisten sehen denn auch das autonome Fahren als den Beginn eines neuen urbanen Lebens. In dem es selbstfahrende und miteinander vernetzte Autos geben wird, die der Kunde nicht mehr kaufen muss, sondern per Knopfdruck mietet. Die Folgen erklärte BMW-Vorstand Peter Schwarzer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „In den Großstädten fahren die Autos emissionsfrei, es wird keinen Lärm mehr geben und keine Verkehrsschilder, Parkplätze können in Wohnungen und Grünflächen gewandelt werden.“
Spätestens dann hat das, was der Mensch über Haut, Augen, Ohren, über alle seine Sinne erfasst, die Technik übernommen – weil sie es besser kann. Eine faszinierende, aber auch eine unheimliche Vorstellung.
„Der größte Fehlerfaktor beim Autofahren ist der Mensch.“Testfahrer Bastian Werner