Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kahlschlag: Biber müssen Scheckenfaltern weichen
Regierungspräsidium lässt aus Naturschutzgründen Bäume im Lochmoos bei Schlier fällen
SCHLIER - Lochmoos Anfang Februar: Arbeiter fahren schweres Gerät auf und beginnen ein fußballfeldgroßes Gebiet zu roden. Mit Wurzelstockfräsen fällen sie Bäume, reißen tiefe Furchen in den Boden. Kenner dieses Areals sind entsetzt. „Das ist ein Skandal“, sagt Markus Röck. „Hier hat sich in den letzten Jahren ein echtes Biotop entwickelt. Sogar Störche wurden angelockt.“
Auch Dieter Scholze ist entsetzt. Scholze ist mit dem Gebiet auf besondere Weise verbunden. Mitte der 80er-Jahre kaufte sein Vater dort ein Streuwiesenareal, pflegte es streng nach Naturschutzauflagen und verkaufte es dann an den BUND. Über Jahre hinweg verfolgt Hobbyornitologe Scholze die natürliche Entwicklung, in der sich auch bedrohte Vogelarten wie Neuntöter, Raubwürger, Teichhühner und Krickenten niedergelassen haben. Das ist jetzt vorbei! Doch warum?
Biber wird zum Problem Vor fünf Jahren siedelten sich in dem Gebiet rund um den Stillen Bach Biber an. Was zunächst sehr willkommen war, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Problem. Natürlicherweise vermehrten sich die Tiere, erweiterten ihr Revier und machten das, was Biber nun mal so tun nämlich Dämme bauen. Dämme entstanden aber nicht nur am Stillen Bach, sondern auch in den zahlreichen kleinen Bächen, die in den Stillen Bach münden. Wie viele Biber derzeit dort leben ist nicht genau bekannt. „Vielleicht sechs oder sieben“, sagt Gerhard Maluck, der die unter strengem Naturschutz stehenden Tiere als Biberbetreuer im Auftrag des Naturschutzverband BUND beobachtet. „Biber sind nachtaktiv und lassen sich nur selten blicken.“Zu sehen ist allein der Fortschritt der Dammarbeiten. Die Folge: Das Wasser überschwemmt die Streuwiesen. Für die anliegenden Felder, die Bauern gehören und damit nicht unter die Obhut der Regierungspräsidiums Tübingen fallen, scheint das kein Problem zu sein. Die Bauern nutzen sie nicht aktiv für Landwirtschaft.
Dem Regierungspräsidium sind die Biber zwar ebenfalls willkommen, jedoch bereiten sie mittlerweile auch Probleme. Wie Thomas Bamann vom Regierungspräsidium Tübingen in einer E-Mail auf Anfrage von Dieter Scholze darlegte, haben die Überschwemmungen dazu geführt, dass der nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) extrem geschützte Lebensraumtyp „Pfeifengras-Streuwiese“gefährdet sei. Die Flächen hätten sich zu Schilffluren und Großseggenriedern entwickelt, das notwendige Mähen der Wiese sei nicht mehr möglich gewesen. Gefährdet sei dadurch vor allem der in Baden-Württemberg vom Aussterben bedrohte Goldene Scheckenfalter sowie zahlreiche weitere Tierund Pflanzenarten der Streuwiesen.
Wie Gerhard Maluck weiß, ernähren sich die Raupen der Falter vom Teufelsabbiss, einer Pflanze mit blau-violetten Blüten. Die Behörde stand damit vor einem Dilemma. Welches Tier ist nun schützenswerter? Biber oder der Goldene Scheckenfalter? Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes des Goldenen Scheckenfalters fiel die Wahl auf den Falter.
Flächen werden neu angesät Der Kahlschlag soll das Gebiet für die Biber unattraktiv machen. Sie sollen ihre Reviere nicht weiter ausdehnen können und weitere Überschwemmungen anrichten. Außerdem soll durch die „Pfegemaßnahmen“- wie Thomas Bamann das Vorgehen nennt - auch das ursprünglich offene und weitgehend gehölzfreie Niedermoor wiederhergestellt und verbuschende Bracheflächen wieder in Mahd genommen werden. Ob die Biber sich davon allerdings beeindrucken lassen, ist nach Meinung von BUND-Betreuer Maluck fraglich. Und ob der Goldene Scheckenfalter sich nicht einfach ein anderes Gebiet sucht, stellt Dieter Scholze in den Raum.
Entsetzt ist der Naturbeobachter nach wie vor über das rüde vorgehen der Arbeiter. Auch das Regierungspräsidium räumte ein, dass die Vorgehensweise „grenzwertig“sei. Die Flächen sollen nun eingeebnet und bereichsweise mit autochthonem Saatgut benachbarter Streuwiesen wieder angesät werden.
Allerdings ist das Biber-Problem damit nicht gelöst. Ein Abschuss der Tiere ist rechtlich nicht möglich, eine Umsiedlung sehr aufwändig, wenn nicht gar unmöglich. Sie werden sich weiter vermehren und das machen, was sie gemäß ihrer Natur tun müssen: Dämme bauen. SEITE 3