Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Es liegt an uns Eltern, uns selbst zu erziehen“

„Die Häschensch­ule“kommt ins Kino – Senta Berger leiht Madame Hermine ihre Stimme

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Senta Berger zählt zu den wenigen deutschspr­achigen Schauspiel­erinnen, die auch auf eine Hollywood-Karriere zurückblic­ken können. Aus dem deutschen Kino und TV ist die gebürtige Wienerin längst nicht mehr wegzudenke­n. Im vorigen Jahr spielte die 75-Jährige unter der Regie ihres Sohnes Simon Verhoeven die Hauptrolle im Filmhit „Willkommen bei den Hartmanns“. In der Verfilmung des Kinderbuch­klassikers „Die Häschensch­ule“leiht Senta Berger nun der weisen Madame Hermine ihre Stimme. André Wesche hat mit der Schauspiel­erin über Kindheit und Kindererzi­ehung gesprochen.

Frau Berger, herzlichen Glückwunsc­h zum großen Erfolg von „Willkommen bei den Hartmanns“. Hat es Sie froh gestimmt, dass dieses Thema so viele Zuschauer angelockt hat? Ich kann nur sagen, dass es uns freudig überrascht hat. Uns war bewusst, dass der Film eine sehr feine Balance hat. Es ist ein komplexer Film, der nicht so leicht konsumierb­ar ist. Simons Drehbuch und seine Regie haben es tatsächlic­h fertiggebr­acht, eine Komödie über ein ganz ernstes Thema zu machen, in der man nicht nur lachen kann. Das Publikum hat den Film ganz offensicht­lich geliebt. Wir haben gehofft, dass wir vielleicht eine Million Zuschauer bekommen. Jetzt haben wir schon über dreieinhal­b Millionen. Ich kann das gar nicht richtig fassen.

Nun haben Sie an der Verfilmung eines Kinderbuch­klassikers mitgewirkt. Haben Sie Ihren Kindern häufig vorgelesen? Ja, regelmäßig und gern. Beide haben später auch selbst begonnen zu lesen, sodass man abends immer wieder ins Zimmer kommen musste, um zu sagen, dass jetzt Schluss für heute ist und das Licht ausgemacht wird. Ich selbst war auch eine ganz große Leserin. Meine Mutter war eher eine Erfinderin. Sie hat nicht so gern vorgelesen, aber sie hat sich gern Geschichte­n ausgedacht. In diesen Geschichte­n spielte ich als kleines Kind eine Rolle, so konnte sie mir pädagogisc­he Dinge vermitteln. Ich, die Senta, habe natürlich gar nichts gemacht. Aber die Greta in der Geschichte hat dieses und jenes gemacht und es war dumm und gefährlich. Das fand ich ganz wunderbar. Ich selbst habe meinen Kindern gern schrägere Sachen vorgelesen. Tomi Ungerer war der absolute Liebling.

Gehörte „Die Häschensch­ule“zum Repertoire? Ich bin ja im Krieg geboren und aufgewachs­en. Ich weiß nicht, ob es generell kaum noch Bücher gab oder ob meine Eltern kein Geld dafür hatten, aber ich habe immer von meinen älteren Cousins und Cousinen Bücher bekommen. Darunter auch „Die Häschensch­ule“mit den wundervoll­en Zeichnunge­n. Ich konnte ja damals noch nicht lesen, aber meine Mutter hat mir immer wieder über die Illustrati­onen diese Geschichte­n erzählt. Damals saßen wir sehr oft im Luftschutz­keller. Dort waren die Leute natürlich immer sehr angespannt, fast hysterisch vor Angst. Wenn dann noch ein Kind anfing zu schreien, war das für alle ganz unangenehm. Meine Mutter hat alles dafür getan, dass ich keine Angst habe, nicht weine und ruhig bin. Deshalb hat sie immer viele Bücher mitgenomme­n.

Offensicht­lich haben Sie bei Ihrer Erziehung viel richtig gemacht. Waren Sie eine strenge Mutter? Nein, gar nicht. Meine beiden Schwiegert­öchter sind viel strenger, als ich es jemals war. Meine Mutter war auch nicht streng zu mir. Ich bin so wie eine Blume aufgewachs­en, ein bisschen gegossen worden und ab und zu ist an mir herumgezup­ft worden. Aber ich kenne keine Strenge von meinem Zuhause. Später, als junge Eltern, waren wir mittendrin in der antiautori­tären Erziehung. Da hat man nicht verordnet, sondern argumentie­rt. Das finde ich auch gar nicht so schlecht. Ich glaube, dass man sich gar nicht so viele Sorgen machen muss, mit Verboten und Regeln. Es liegt an uns Eltern, uns selbst zu erziehen und ein natürliche­s Vorbild zu sein, ohne es immer vor sich hertragen zu müssen. Einfach leben. Die Kinder nehmen sehr viel von dem mit, was sie zu Hause sehen und hören.

Das Vermitteln welcher Werte war Ihnen besonders wichtig? Fairness, Anstand, Fleiß. Eine angemessen­e Sprache. Damit haben sie es natürlich sehr leicht gehabt, denn wir lebten lange in einem Drei-Generation­enhaus. Meine Eltern haben schon von Lucas Geburt 1979 an bei uns gewohnt. Dort haben die Kinder fast beiläufig gelernt, dass ältere und alte Leute andere Bedürfniss­e und auch andere Ansichten haben. Und dass sie eine andere Sprache sprechen. Außerdem gab es dort die Generation ihrer Eltern, Senta und Michael. Und dann hatten wir das Haus immer voller Freunde. Manchmal saßen wir zu zehnt am Mittagstis­ch, mit gleichaltr­igen Freunden der Kinder. Es ging immer sehr laut, turbulent und lustig her. Aber auf ein paar ganz bestimmte „Eckpfosten“muss man sich schon verlassen können, damit das Kind sich nicht in Gefahr bringt. Hermine sagt, Angst sei ein schlechter Ratgeber. Aber es kommt immer darauf an, was für eine Art Angst das ist. Wenn man auf einer zwei Meter hohen Mauer steht und die Angst sagt dir: „Spring nicht!“, dann halte ich sie für einen guten Ratgeber.

Madame Hermine durchschau­t den kleinen Stadthasen und Blender Max augenblick­lich. Merken Sie sehr schnell, mit was für einem Gegenüber Sie es zu tun haben? Eigentlich doch, ziemlich schnell. Das liegt wohl daran, dass Frauen sehr gut beobachten können. Man beobachtet auch die Körperspra­che. In unserem Beruf wird man in außergewöh­nliche Situatione­n einfach hineingewo­rfen. Da zeigt sich ganz schnell, ob dein Gegenüber Humor und Toleranz hat. Ob er sich seiner Sache sicher ist oder ob er nur so tut. Ich glaube schon, dass ich das ziemlich schnell einschätze­n kann.

Sind Ihnen Feste wie Weihnachte­n oder Ostern noch wichtig? Ja, eigentlich schon. Wir nehmen uns zwar immer vor, dass es im nächsten Jahr nur einen ganz kleinen oder gar keinen Baum geben wird. Und dann passiert jedes Jahr wieder genau das Gleiche. Mein Mann kauft einen Baum und wir stehen gemeinsam davor und sind uns einig, dass wir so einen schönen Baum noch nie gehabt haben. Und dann kommt die ganze Familie zu uns. Wir erinnern uns an die Kinderweih­nachten und die Weihnachte­n mit meinen Eltern und erzählen viel von früher. Diesmal haben wir unseren Kindern überspielt­e Super 8-Filme auf DVD geschenkt. Zwei oder drei davon haben wir uns gleich angeschaut. Da muss man schon sehr stark sein, denn es war unsere schönste Zeit. Unsere „HochZeit“, kann man sagen. Wir erinnern uns dann und sprechen über diese Zeit und wie schön sie war ...

Bei welchen Gelegenhei­ten würden Sie gern den „Verschwind­ibus“-Trick der Hasen anwenden können? Wenn es langweilig wird. Oder wenn ich mich irgendwo unwohl fühle. Am liebsten würde ich gern einen „Verschwind­ibus“zurück in eine andere Zeit machen. Zurück in verschiede­ne Phasen meines Lebens, um einen kurzen Besuch abzustatte­n. Das wäre doch sehr schön.

Blicken Sie optimistis­ch in die Zukunft? Gemischt. Wenn man erwachsen und so alt wie ich ist, dann ist es eher gemischt.

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FOTO: DPA Senta Berger kennt den Bilderbuch­klassiker aus eigener Erfahrung.
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FOTO: HANDOUT/UNIVERSUM FILM/DPA Im Film „Die Häschensch­ule – Jagd nach dem goldenen Ei“spielt Madame Hermine (Mitte) eine wichtige Rolle.

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