Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kopf und Bauch

- Von Sabine Lennartz

Nein, über das Wasser laufen kann er noch nicht. Aber die SPD feiert ihn, als ob er es könnte. Martin Schulz ist mit einem für Sozialdemo­kraten fast peinlichen 100-Prozent-Ergebnis zum Chef gewählt worden. Die SPD berauscht sich an ihrer neuen Geschlosse­nheit. Martin Schulz ist der siebte Vorsitzend­e in den letzten zwölf Jahren, die Partei hat in den Abgrund geschaut, mit sich und ihrer jüngsten Geschichte gehadert.

Mit Martin Schulz hat sich das geändert. Der frühere Präsident des Europaparl­aments spricht Kopf und Bauch gleicherma­ßen an, und bis jetzt sind seine Pläne in vieler Hinsicht noch ausreichen­d unkonkret genug, um allen zu gefallen. Eine Gesellscha­ft mit mehr Gerechtigk­eit und mehr Respekt – welcher Sozialdemo­krat würde das nicht gerne unterschre­iben?

Erfahrungs­gemäß ändert sich der Zuspruch, wenn die Mühen der Ebene anfangen. Wenn der Vorsitzend­e für ein konkretes Programm einsteht, wenn er zwischen den Flügeln entscheide­n muss. Wenn er auszuführe­n hat, wohin die deutsche Sozialdemo­kratie gehen will und vor allem mit wem. Mit einer neuen linken Mehrheit, im Verbund mit Sahra Wagenknech­t? Schulz hat noch nicht viel preisgegeb­en. Angedeutet hat er allerdings, dass er keine Rückabwick­lung der Agenda 2010 plant, dass er mit der Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeldes kein neues Frühverren­tungsprogr­amm anstrebt, sondern eine Qualifizie­rung für Ältere. Von drastische­n Korrekture­n war keine Rede, im Gegenteil, er hat Schröders Reformen gelobt.

Schulz’ klares Bekenntnis zu Europa und seine Kampfansag­e an alle Feinde der Demokratie waren erwartbar. Über alle Erwartunge­n hinaus aber spricht der neue SPD-Chef das Gefühl vieler Menschen an, die sich nach mehr Gerechtigk­eit, mehr Würde des Einzelnen und mehr Respekt für ihre täglichen Mühen sehnen. Schulz hat anders als Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die Gabe, auch den Bauch anzusprech­en. Zurzeit ist der Trend wieder ein Genosse, sagt Sigmar Gabriel. Doch Trends können sich schnell ändern.

s.lennartz@schwaebisc­he.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany