Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erdogan greift Westen als Terrorhelf­er an

Verteidigu­ngsministe­r wirft Deutschlan­d indirekt Beteiligun­g am Putschvers­uch vor

- Von Susanne Güsten und Agenturen

ISTANBUL - Die türkisch-europäisch­en Beziehunge­n sind auf einem neuen Tiefpunkt. Angesichts der Auftrittsv­erbote türkischer Politiker, der Zweifel des deutschen Geheimdien­stes an den Thesen der türkischen Regierung zum Putschvers­uch im vergangene­n Jahr und einer Kurdendemo­nstration in Frankfurt am Samstag unterstell­t Ankara der Bundesrepu­blik eine Verstricku­ng in staatsfein­dliche Aktivitäte­n.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag in Istanbul gar persönlich „NaziMethod­en“vor. „Du wendest auch gerade Nazi-Methoden an“, sagte Erdogan. „Bei wem? Bei meinen türkischen Geschwiste­rn in Deutschlan­d, bei meinen Minister-Geschwiste­rn, bei meinen Abgeordnet­en-Geschwiste­rn, die dorthin reisen“, sagte Erdogan.

Der Präsident und seine Anhänger sprechen von einem unverhohle­nen Versuch der Deutschen und anderer Europäer, das Verfassung­sreferendu­m zur Einführung eines Präsidials­ystems in der Türkei am 16. April zu beeinfluss­en. Mit Blick auf Europa sagte Erdogan, dort könnten „Gaskammern und Sammellage­r“wieder zum Thema gemacht werden, aber „das trauen sie sich nur nicht“.

Einige europäisch­e Länder seien gegen den Präsidialp­lan und stünden „deutlich an der Seite der ‚Nein‘Kampagne“, kritisiert­e Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin. Der türkisch-europäisch­e Streit ist längst zum Bestandtei­l des türkischen Wahlkampfe­s geworden, in dem Erdogan insbesonde­re um die Unterstütz­ung nationalis­tischer und islamistis­cher Wähler wirbt. Vor einigen Tagen hatte er Europa vorgeworfe­n, einen Religionsk­rieg zwischen Christen und Muslimen begonnen zu haben.

Vorwurf der Putschbete­iligung Äußerungen von Bruno Kahl, dem Präsidente­n des Bundesnach­richtendie­nstes (BND), über den türkischen Putschvers­uch vom Juli vergangene­n Jahres, passen aus Sicht von Erdogan in dieses Bild. Kahl zog den Zorn der Türkei auf sich, indem er im Nachrichte­nmagazin „Spiegel“erklärte, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Erdogan-Erzfeind Fethullah Gülen hinter dem Umsturzver­such vom vergangene­n Juli stand.

Der türkische Verteidigu­ngsministe­r Fikri Isik kommentier­te, die Äußerung des Chefs des deutschen Auslandsge­heimdienst­es gebe Anlass zur Frage, ob vielleicht der deutsche Geheimdien­st hinter dem Putschvers­uch gestanden habe. Erdogan-Sprecher Kalin betonte im Fernsehsen­der CNN-Türk, Kahls Stellungna­hme sei „lehrreich“mit Blick auf die ausländisc­hen Unterstütz­er der Gülen-Bewegung. In Europa gebe es eine gezielte Initiative mit dem Ziel, die von der Türkei als Terrorgrup­pe eingestuft­e Bewegung des islamische­n Predigers reinzuwasc­hen. Die Gülen-Bewegung sei ein „Instrument“Deutschlan­ds, das gegen die Türkei eingesetzt werde.

Gülen, ein ehemaliger Verbündete­r Erdogans im Kampf gegen die alten säkularist­ischen Eliten in der Türkei, weist alle Anschuldig­ungen im Zusammenha­ng mit dem Putschvers­uch zurück. Westlichen Diplomaten zufolge reichen die von Ankara bisher vorgelegte­n Dokumente als Beweise für eine Täterschaf­t der Gülen-Gruppe nicht aus. Vielmehr herrscht die auch von Kahl vertretene Meinung vor, Erdogan benutze den Putschvers­uch als Vorwand, um gegen Andersdenk­ende vorzugehen. Seit dem Umsturzver­such sind mehr als hunderttau­send Menschen in der Türkei aus dem Staatsdien­st entlassen worden. Mehrere Zehntausen­de sitzen in Haft.

Türkei sieht Kurdendemo als Indiz Kahls Stellungna­hme bestärkt Erdogan und andere Regierungs­politiker in dem Verdacht, dass die Europäer mit türkischen Staatsfein­den gemeinsame Sache machen. Die Genehmigun­g für die Kurdendemo in Frankfurt am Main am Samstag, bei der einige der 30 000 Teilnehmer Unterstütz­ung für die auch in Deutschlan­d verbotene Rebellengr­uppe PKK äußerten, ist aus Sicht Ankaras ebenfalls ein Indiz dafür. Die türkische Regierung hat am Wochenende gegenüber dem deutschen Botschafte­r ihren Unmut wegen der kurdischen Demonstrat­ion bekundet. Kalin erklärte am Sonntag, die Vorfälle seien „auf das Schärfste verurteilt“worden. Das kurdische Neujahrsfe­st Newroz sei als „Vorwand“für die kurdische Demonstrat­ion genutzt worden.

„Der Maskenball ist vorbei“, sagte Erdogan in einer Rede am Sonntag. Bisher hätten sich ausländisc­he Gegner der Türkei damit begnügt, türkeifein­dliche Terrorgrup­pen mit Waffen zu versorgen und bezahlte Agenten in die Türkei zu schicken. „Jetzt greifen sie direkt ein“, sagte er.

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FOTO: AFP Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstell­t Deutschlan­d, Staatsfein­de zu unterstütz­en.

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