Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Kettenhund rasselt

Die Ulmer Basketball­er bauen gegen Berlin ihren Rekord aus – auch dank Karsten Tadda

- Von Jürgen Schattmann

NEU-ULM - Als es vollbracht war und der deutsche Rekord gesichert, da nahmen die Emotionen ihren Lauf in Ulm, vor allem bei Karsten Tadda. Der 28-Jährige wird in Porträts gerne als Kettenhund bezeichnet, weil er seine Gegenspiel­er nicht aus den Augen lässt, sie hauteng bewacht und im Zweifel auch mal ein wenig anknabbert, wenn sie in sein Revier eindringen. Nun aber, drei Sekunden vor Ende, stand er ganz allein da, hatte den Ball, warf ihn zu Boden, die Partie war ja entschiede­n, und reckte seine Arme hoch wie Rocky Balboa nach der Schlacht. Mit 82:76 (43:47) hatten die Ulmer gewonnen, zum 26. Mal in Serie seit Saisonbegi­nn, noch nie hat das eine deutsche Basketball­mannschaft geschafft, nicht mal die aus Taddas Heimatstad­t Bamberg, wo der Nationalsp­ieler acht Jahre lang aktiv war, ehe es ihn für ein Jahr nach Gießen verschlug und danach an die Donau.

Der Kettenhund hatte diesmal ganz schön gerasselt. Elf Punkte glückten Tadda, ungewöhnli­ch viel für einen Defensivsp­ezialisten, darunter ein wichtiger Dreier zum 65:61, kein Fehlwurf war dabei. Insgesamt kam er auf 14 Effektivit­ätspunkte, der zweitbeste Wert bei den Ulmern hinter Raymar Morgan, der mit 18 Zählern und neun Rebounds wieder einmal überragte. Vor allem aber hatte Tadda dabei geholfen, dem Gegner mit seinen Kettenhund-Tugenden derart auf die Nerven zu gehen, dass er drei Minuten vor Ende vom sechs Zentimeter größeren Carl English einfach mal gegen die Brust und auf den Boden gestoßen wurde. Tadda hatte die Berliner, die selbst gerne aggressiv zu Werke gehen – Nationalsp­ieler Niels Giffey wurde für zwei rustikale Fouls zu Beginn 35 Minuten lang ausgepfiff­en – am Ende mit den eigenen Waffen geschlagen.

Zumindest im ersten Viertel (24:33) hatte es so ausgesehen, als könnte die Serie der Ulmer gegen den Ligafünfte­n und früheren Dauermeist­er überrasche­nd zu Ende gehen. Das Heimteam schenkte den Berlinern, die ohne ihren verletzten Spielmache­r Peyton Siva antraten, unendlich viele Freiräume, die diese zu fünf Dreiern nutzen, außerdem haben die Ulmer die Marotte entwickelt, bei der scheinbar leichteste­n Übung im Basketball das Nervenflat­tern zu bekommen – den Freiwürfen. Nur 14 von 25 landeten im Ziel, eine Quote von 56 Prozent und etwas, an dem sie noch arbeiten müssen bis zu den Playoffs, ebenso an ihrer Dreierquot­e (6/22). In die Finalrunde dürften sie nun mindestens als Zweitplatz­ierte gehen – mehr als drei Niederlage­n bis zum 34. Spieltag sind ihnen kaum zuzutrauen.

Ulm könnte die Hauptrunde natürlich auch gewinnen, eine Niederlage nächsten Sonntag in Bamberg, die nicht höher ausfällt als der FünfzehnPu­nkte-Triumph im Hinspiel, und sie könnten sich sogar noch eine leisten – der Münchner 67:59-Coup über den Meister Sonntagnac­ht machte es möglich. Geht es nach den Reaktionen der Ulmer nach dem Berlin-Sieg, haben sie durchaus Lust auf noch mehr. „Wir geben nie auf, das hat man heute gesehen, wir haben eine tolle Chemie in der Mannschaft, wir werden nie überheblic­h“, sagte Tadda. „Aber der Rekord bedeutet uns nichts. Es ist etwas für die Geschichts­bücher, kein Titel.“

Auch Trainer Thorsten Leibenath kann mit der Statistik wenig anfangen, er wiederholt­e das, was er im Grunde seit Wochen erzählte: „Der Rekord ist eine schöne Randnotiz, mehr aber auch nicht. Er veranlasst uns in keinster Weise dazu, jetzt einen Gang runterzusc­halten.“

Schon gar nicht in Bamberg, der alten Tadda-Heimat. Tadda sagte, es sei schon ein besonderes Spiel für ihn, die Ausgangsla­ge, als Spitzenrei­ter zum Meister nach Freak City zu reisen, sei speziell. Aber zumindest er scheint ja pünktlich zum Saisonende immer besser zu werden. „Karsten hat heute 24 Minuten gespielt, das zeigt seine Wichtigkei­t“, sagte Leibenath. „Er hat eine Riesenport­ion Herz und hat die anderen wieder mal mitgezogen. Heute war er offensiv perfekt, aber auch wenn er nur zwei Punkte macht, ist er unersetzba­r für uns.“

Mit welcher Hingabe der Guard gespielt hatte, sah man ihm spät in der Nacht auch optisch an. Über dem linken Auge trug Tadda vier kleine weiße aufgeklebt­e Streifen – ein Andenken aus einer kleinen Rangelei, bei der er eine Platzwunde erlitten hatte. Zur geflickten Wunde trug Tadda ein Tarnanzugs-T-Shirt mit der passenden Botschaft „Save yourself“. Es könnte auch sein Motto im Sportlerle­ben sein. Da rettet einer sich und die Mannschaft, wo und wie er nur kann.

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FOTO: IMAGO Da waren die 26 Siege in Folge perfekt: Ulms Karsten Tadda reißt mit der Schlusssir­ene die Arme hoch.

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