Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nazi-Parolen: Zwei Monate Haft für Obdachlosen
Amtsgericht Tettnang verurteilt einen 53-jährigen Mann wegen „Sieg-Heil“-Rufen
FRIEDRICHSHAFEN - Diese Aktion war kein Spaß mehr: Weil er auf dem Romanshorner Platz Nazi-Parolen rief, ist ein 53-jähriger Mann zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Eine Bewährung kam für den obdachlosen und schwer alkoholkranken Mann nicht infrage, da keine gute Sozialprognose vorliegt.
Donnerstag, 27. Oktober 2016, um 18.15 Uhr auf dem Romanshorner Platz in Friedrichshafen: Ein Mann in roter Jacke schwankt zwei jungen Männern entgegen. Er hat eine Kapuze über den Kopf gezogen, die Augen sind von einer Sonnebrille bedeckt, er ist offensichtlich betrunken, als er mit verwaschener Stimme „Sieg Heil“und Heil Hitler“grölt. Die beiden Passanten rufen die Polizei, die wenige Minuten später mit mehreren Fahrzeugen anrückt.
Seine lautstarken Äußerungen blieben für den obdachlosen Mann nicht ohne Konsequenzen. Am Montagmorgen saß er im Amtsgericht Tettnang auf der Anklagebank. Die Tat, die dem 53-Jährigen vorgeworfen wird, bezeichnen Juristen mit dem etwas sperrigen Begriff „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. Der Angeklagte erklärte, dass er keine Erinnerungen mehr an den Vorfall habe, und stellte eines klar: „Ich bin kein Nazi.“Wie es zu den Ausrufen gekommen sei, könne er sich nicht erklären, zumal er sich politisch eher im linken Lager verorte. Der Mann berichtete, dass er und einige Kumpels an jenem Tag auf dem Romanshorner Platz ordentlich Alkohol getankt haben. Der Nationalsozialismus sei in der Trinkerrunde zwar ein Thema gewesen, ließ der Obdachlose wissen, „aber wir haben eher Witze über Hitler gemacht“.
Jahrzehntelange Suchtkarriere Der 53-Jährige blickt auf eine jahrzehntelange Suchtkarriere zurück. Bis 1999 konsumierte er harte Drogen wie Kokain und Heroin. Von der Nadel kam er zwar weg, aber nicht vom Alkohol. In einem Gutachten aus dem Jahr 2014 heißt es, dass er bis zu 20 Flaschen Bier pro Tag trinke. Durch den Vollsuff komme es immer wieder zu komplettem Kontrollverlust oder Orientierungslosigkeit. Die Folge des Alkoholmissbrauchs: eine organische Persönlichkeitsstörung, verbunden mit den üblichen Begleiterscheinungen wie sozialer Abstieg.
Verteidiger Hubert Mangold plädierte dafür, von einer Strafe abzusehen. Er betonte, dass sein Mandant kein nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten wollte, sondern die Ausrufe eher als Scherz gedacht waren. Angesichts von 32 Vorstrafen – unter anderem wegen Diebstahl, Bedrohung oder Drogendelikten – befand Staatsanwältin Diana Rupflin dagegen, dass eine kurze Freiheitsstrafe unerlässlich sei. So sah’s auch Richterin Heike Jakob, die zwei Monate Haft ohne Bewährung verhängte. Sie nahm dem Angeklagten zwar ab, dass er kein Nazi sei. Aber: „Es kommt nicht darauf an, wie Sie denken, sondern wie Sie wirken.“