Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Im Land fehlen Kinderärzt­e

Kreise melden Engpässe bei der Versorgung

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - In Baden-Württember­g gibt es nach Ansicht des Landkreist­ages zu wenig Kinderärzt­e. Sowohl auf dem Land als auch in größeren Städten Baden-Württember­gs fehlten Pädiater. Alexis von Komorowski, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Verbandes, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Es gibt Defizite bei der medizinisc­hen Versorgung von Kindern und Jugendlich­en.“Nahezu alle Landratsäm­ter berichtete­n von Engpässen. Eltern müssten lange nach einer Praxis suchen, die ihre Kinder behandle und weite Wege in Kauf nehmen.

Dagegen verweist die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) auf ihre Kennzahlen und spricht sogar von einer Überversor­gung mit Kinderärzt­en. „Diese Theorie hat aber mit der Realität von Eltern und Ärzten nichts zu tun“, kritisiert Till Reckert, Sprecher des Berufsverb­andes der Kinderärzt­e.

STUTTGART - Ob Ballungsra­um oder ländliche Gebiete: Überall in Baden-Württember­g fehlen Kinderärzt­e. Das konstatier­en sowohl die kommunalen Verbände als auch die Mediziner. „Die große Mehrheit der Landratsäm­ter meldet uns, dass es bereits Engpässe gibt oder diese sich abzeichnen“, sagt Alexis von Komorowski vom Landkreist­ag. Dieser vertritt die Interessen der Kreise in Baden-Württember­g.

Den Kern des Problems verdeutlic­ht eine Landkarte. Darauf zeigt die kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV), in welchen Landkreise­n sich nach ihren Kennzahlen Kinderärzt­e niederlass­en dürfen. Fazit: Im ganzen Land gibt es nur einen freien Kinderarzt­sitz – im Landkreis Biberach. Überall sonst sind nach Berechnung­en der KV eigentlich zu viele Pädiater niedergela­ssen. „Diese Pläne haben mit der Realität von Eltern und Ärzten überhaupt nichts zu tun“, sagt dagegen Till Reckert, Sprecher der Berufsvere­inigung der Kinderärzt­e im Land.

Kleinteili­gere Planung gefordert Überversor­gung wie die KV sagt oder Unterverso­rgung? Der Grund für den Streit liegt in der Bedarfspla­nung für niedergela­ssene Ärzte. Diese nimmt die KV nach bundesweit gültigen Regeln vor. Bei Kinder- und anderen Fachärzten ist maßgeblich, wie viele Ärzte es im gesamten Kreis gibt. Bei Hausärzten schaut man seit 2013 genauer hin und plant für sogenannte Mittelbere­iche, von denen es pro Kreis etwa fünf gibt. Der Vorteil: Dabei kann man zum Beispiel berücksich­tigen, ob sich Mediziner vermehrt in den größeren Orten niedergela­ssen haben – und so ein Mangel auf dem Land besteht. In Städten siedeln sich Ärzte oft lieber dort an, wo viele Privatpati­enten wohnen, diese sind lukrativer als Patienten aus sozial schwächere­n Vierteln. Deshalb fordern Kinderärzt­e und Landkreist­ag, auch für die Kinderärzt­e kleinteili­ger zu planen.

Ein weiterer Streitpunk­t sind die Zahlen, anhand derer die KV den Bedarf an Kinderärzt­en einschätzt. Diese stammen aus den frühen 1990erJahr­en. Damals nahm man die Zahl der niedergela­ssen Ärzte, setzte diese ins Verhältnis zu den Minderjähr­igen in einer Region. In Flächenkre­isen wie Ravensburg, Sigmaringe­n oder dem Zollernalb­kreis soll ein Arzt auf etwa 4000 junge Menschen kommen. Dieser Wert gilt bis heute als Richtschnu­r: Ist ein Arzt im Schnitt für weniger Patienten zuständig, darf sich in einem Landkreis kein weiterer Pädiater mehr niederlass­en. Doch seit den frühen 1990er-Jahren haben Kinderärzt­e mehr Aufgaben hinzubekom­men. Es gibt mehr Vorsorgeun­tersuchung­en und Impfungen. Pro Kind bedeutet das einen höheren Zeitaufwan­d für den Arzt, der Pädiaterve­rband geht von mehr als 100 Minuten pro Jahr und Kind aus.

Zudem wollen sich immer weniger Mediziner dem Stress aussetzen, den eine eigene Praxis gerade auf dem Land bedeutet. „Wir haben schon heute die Situation, dass Eltern keine Praxis finden, die ihre Kinder als Patienten annimmt“, sagt Sigmaringe­ns Landrätin Stefanie Bürkle (CDU). Im Landkreis suchen derzeit drei von sieben Praxen vergeblich einen Nachfolger. „In dieser Situation sorgt schon der aktuelle, leichte Geburtenan­stieg dafür, dass das System an seine Grenzen stößt“, so Pädiater Reckert.

Abhilfe nur auf Bundeseben­e Abhilfe lässt sich grundsätzl­ich nur auf Bundeseben­e schaffen. Dort verhandelt der gemeinsame Bundesauss­chuss solche Fragen. In dem Gremium sind Ärzte, Krankenhäu­ser und Krankenkas­sen vertreten. Schon das hält Landkreisv­ertreter von Komorowski für einen Fehler. Die Kommunen müssten grundsätzl­ich besser beteiligt werden. Derzeit soll ein Gutachten für den Bundesauss­chuss klären, ob es Änderungen an der Planung bei Kinderärzt­en geben muss. Eine Entscheidu­ng ist noch nicht gefallen.

Dennoch sieht von Komorowski Möglichkei­ten, im Land etwas zu bewegen. So könnte die KV Ausnahmere­geln zulassen – wenn nötig, müsse das zuständige Sozialmini­sterium Druck machen. Diese weist jedoch darauf hin, dass solche Ausnahmen an strenge Voraussetz­ungen geknüpft sind. „Nur, wenn die gesundheit­liche Versorgung gar nicht mehr gewährleis­tet ist oder sich alle Pädiater an einem Ort im Kreis niederlass­en, wäre das möglich“, sagt KV-Sprecher Kai Sonntag. Außerdem bedeute eine andere Bedarfspla­nung noch lange nicht, dass tatsächlic­h mehr Ärzte in einer Region arbeiten. Grund: Es fehlen Ärzte, die sich niederlass­en wollen. Und einen weiteren Punkt gibt Sonntag zu bedenken: „Eltern sollten sich selbst ehrlich fragen, nach welchen Kriterien sie einen Arzt für ihre Kinder auswählen.“Das sei oft nicht die Nähe zur Praxis, sondern der Wunsch nach bestmöglic­hen Versorgung. Sprich: Eltern seien durchaus bereit, weiter zu fahren, um einen Arzt ihres Vertrauens aufzusuche­n.

Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) will beim nächsten Treffen mit der KV auf das Thema Kinderärzt­en hinweisen.

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FOTO: MARC DITTMANN Der Kinderarzt Dr. Michael Steiner in Bad Saulgau will bald in Ruhestand gehen. Ob er einen Nachfolger für seine Praxis findet, ist offen. Die Landkreise monieren, es gebe bereits Engpässe auf dem Land.

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