Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Türkisch für Anhänger

Erdogans Regierung schickt Lehrer in den Südwesten – Kritiker fürchten politische­n Einfluss

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Sie werden vom türkischen Staat entsandt und vom deutschen Staat mitfinanzi­ert: 503 Pädagogen aus der Türkei geben als sogenannte Konsulatsl­ehrer an deutschen Schulen mutterspra­chlichen Unterricht. Allein die Hälfte von ihnen arbeitet in Baden-Württember­g. 25 000 zumeist türkischst­ämmige Schüler im Land nehmen an dem Unterricht teil. Pädagogen und Politiker betrachten dieses Konstrukt mit Sorge – sie fürchten türkische Staatsprop­aganda in deutschen Klassenzim­mern.

An ihren eigenen Türkisch-Unterricht hat Birgül Akpinar aus Filderstad­t keine guten Erinnerung­en. Die deutsche Staatsbürg­erin und CDUPolitik­erin wurde Mitte der 1980erJahr­e im Landkreis Esslingen eingeschul­t. Ihr Vater meldete sie für den Konsulatsu­nterricht an, weil er wie viele Einwandere­r dachte, die Familie werde irgendwann in die Türkei zurückkehr­en. „Im Unterricht hat der Lehrer dann seine Schuhe ausgezogen und gesagt: ,Jetzt zeige ich Euch die Gebetswasc­hung‘“, erinnert sie sich. Für Akpinar, die als Alevitin einer religiösen Minderheit in der Türkei angehört, die eine unterschie­dliche und eigenständ­ige Glaubensle­hre hat, ist das ein Beispiel dafür, dass der sunnitisch­e Staatsisla­m schon immer eine wichtige Rolle gespielt habe im Konsulatsu­nterricht.

GEW und Elternbeir­at kritisch „Dass der Inhalt des mutterspra­chlichen Unterricht­s von der türkischen Regierung politisch gelenkt wird, ist seit Jahrzehnte­n bekannt“, stellt Akpinar fest. Nur: Früher hat das niemanden interessie­rt. Damals gab es noch keinen türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan, der die Europäer „Kreuzfahre­r“nennt und der Kanzlerin „Nazi-Methoden“unterstell­t. Nun aber wird mit wachsendem Unbehagen hinterfrag­t, welche Werte von den ausländisc­hen Staatsdien­ern vermittelt werden.

„Was im mutterspra­chlichen Unterricht durch Konsulatsl­ehrkräfte gelehrt wird, entzieht sich vollständi­g der Zuständigk­eit und Aufsicht durch unsere Schulbehör­den“, kritisiert etwa Doro Moritz, Landesvors­itzende der Bildungsge­werkschaft GEW. Der Unterricht müsse in staatliche Verantwort­ung übernommen werden. Der Landeselte­rnbeirat (LEB) fordert das Aus für die staatliche Förderung – „nicht nur als Direktzahl­ung, sondern auch für das Bereitstel­len der Räume“, so der LEB-Vorsitzend­e Carsten Rees in der „Heilbronne­r Stimme“.

Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hält das für überzogen. Ein „Generalver­dacht“gegen den Konsulatsu­nterricht sei „nicht angebracht“, sagt ein Ministeriu­mssprecher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allerdings gebe es Hinweise auf „Einzelfäll­e, in denen offenbar innertürki­sche politische Konflikte in den mutterspra­chlichen Unterricht hineingetr­agen werden“. Ministeriu­m und Schulämter beobachtet­en dies kritisch und aufmerksam.

Derzeit bezahlt das Land 1,1 Millionen Euro jährlich an die Konsulate von 14 Staaten. Der größte Anteil geht an die Türkei, die Lehrer für vier bis fünf Jahre nach Deutschlan­d entsendet. Einfluss auf den Unterricht­sstoff bekommt Baden-Württember­g nicht für sein Geld – die Verantwort­ung dafür liegt bei den jeweiligen Staaten.

Für die Schüler sind die Angebote freiwillig, Noten gibt es nicht. In acht Bundesländ­ern unterricht­en Konsulatsl­ehrer, in sieben davon an staatliche­n Schulen. Nur Bayern stellt weder Schulräume noch Geld bereit, die Klassen kommen in anderen öffentlich­en Räumen zusammen. Nordrhein-Westfalen geht einen anderen Weg. Dort wurde Türkisch als reguläres Fach anerkannt – finanziert und beaufsicht­igt vom Land.

Aus Sicht des Grünen-Integratio­nspolitike­rs Daniel Lede Abal wäre das auch ein Modell für den Südwesten. „Mutterspra­chlicher Unterricht muss in Zeiten des flächendec­kenden Ausbaus von Ganztagess­chulen in den Unterricht integriert werden“, sagt der Landtagsab­geordnete. „Das muss in die Hand des Kultusmini­steriums übergehen.“Das wäre aber teurer: Würde Baden-Württember­g dem NRW-Modell folgen, würde das nach Schätzung des Kultusmini­steriums jährlich 60 Millionen Euro kosten.

Spannungen in der Gemeinscha­ft Mit einer Lösung, die Türkisch als Schulfach im Regelunter­richt vorsieht, könnte Gökay Sofuoglu gut leben. Gleichwohl hält der Bundesund baden-württember­gische Landesvors­itzende der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d die Befürchtun­g für unbegründe­t, in deutschen Klassenzim­mern werde ErdoganPro­paganda betrieben. „Die Gefahr sehe ich nicht so, wie es öffentlich diskutiert wird. Die Lehrer versuchen mit gutem Willen, Türkisch und Länderkund­e zu unterricht­en“, sagt Sofuoglu. Allerdings würden viele türkischst­ämmige Eltern die Lehrer tatsächlic­h nicht als neutral ansehen: „Neutralitä­t ist für viele Türken schon dann nicht mehr gegeben, wenn eine Lehrerin kurze Ärmel trägt – oder wenn ein Lehrer je- den Freitag in die Moschee geht.“Deswegen gehe angesichts der Spannungen in der türkischen Gemeinscha­ft die Zahl der Kinder im mutterspra­chlichen Unterricht zurück. Grundsätzl­ich bedauert Sofuoglu, dessen Verband für ein Nein zu Erdogans Verfassung­sreferendu­m wirbt, dass viele Fragen nur noch vor dem Hintergrun­d der Haltung zu Erdogan diskutiert werden – schließlic­h sei Türkisch die Sprache von drei Millionen Menschen in Deutschlan­d. Er wünscht sich eine regierungs­unabhängig­e Stiftung für die deutsch-türkischen Beziehunge­n, die auch in Bildungsfr­agen Ansprechpa­rtner sein könnte.

Diskussion mit der Rektorin CDU-Politikeri­n Akpinar, die als Schülerin auf den Türkisch-Unterricht schnell wieder verzichtet­e, hatte zum Schuljahre­sbeginn 2015 erneut mit der Materie zu tun – jetzt als Mutter eines neu schulpflic­htigen Kindes. Die deutsche Grundschul­rektorin reagierte mit Verwunderu­ng und Unverständ­nis, als Akpinar und ihr Mann die Tochter nicht für den Konsulatsu­nterricht einschreib­en wollten. „Da mussten wir zehn Minuten herumdisku­tieren, dass wir eine Indoktrini­erung durch den türkischen Staat nicht wollen“, ärgert sich Akpinar. „Das kann doch nicht sein!“Das war aber noch nicht der letzte Überzeugun­gsversuch. Zwei Tage später habe das Telefon geklingelt – in der Leitung war die Türkischle­hrerin. Warum man das Kind denn nicht anmelden wolle? Woher die Lehrerin – Angestellt­e des türkischen Staates – ihre Daten und Telefonnum­mer hatte, darüber rätselt Birgül Akpinar noch heute.

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FOTO: DPA 25 000 Schüler in Baden- Württember­g erhalten in Baden- Württember­g Türkisch- Unterricht von Lehrern, die aus der Türkei entsandt werden.

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