Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Zufallsüberlebende
Egon Rapp war der Bodyguard des damaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback – Am Tag des Attentats hatte er ausnahmsweise frei
PFINZTAL - Die Holzdecke hängt heute noch. Egon Rapp steht im Flur und zeigt mit dem Finger nach oben. „Das ist sie“, sagt er. Das ist die Holzdecke, die ihm das Leben gerettet hat. Das klingt komisch, ist aber wahr. Egon Rapp, 73 Jahre alt, pensionierter Kriminalbeamter, gehört zu den Menschen, deren Leben ein einziges Ereignis in ein davor und ein danach einteilt. Bei ihm war das der Gründonnerstag des Jahres 1977. Egon Rapp war damals Siegfried Bubacks Bodyguard, wie man heute sagen würde. Rapp war bei der Kriminalpolizei Karlsruhe im Fachdezernat Fahndung, das unter anderem auch für die Betreuung gefährdeter Personen zuständig war. Es gab damals nicht besonders viele gefährdete Personen. Eigentlich ging es nur um den Generalbundesanwalt, und Rapp war sein Personenschützer.
Rapp hatte Schreiner und Glaser gelernt, ein sportlicher junger Mann, ein talentierter Fußballer, der schon als 17-Jähriger mit dem 1. FC Ersingen in der damals vierthöchsten Spielklasse aufgelaufen war. Erst mit 26 Jahren ging Egon Rapp zur Polizei. Er war damals schon verheiratet und hatte eine kleine Tochter.
„Ich hätte es nicht verhindern können. “Egon Rapp
Über ein Jahr hatte er Buback begleitet, bis dieser Tag kam, der 7. April 1977. Gründonnerstag. Aber eigentlich beginnt die Geschichte von Egon Rapp einen Tag vorher.
Ostern steht vor der Tür, Rapps erwarten Besuch. Und Egon Rapp würde davor noch gerne die Baustelle in seinem Flur beseitigen, er will eine weiße Holzdecke einziehen. Deshalb fragt er Siegfried Buback, ob er den Gründonnerstag vielleicht freinehmen könnte. Die beiden verstehen sich gut. Sie sprechen über alles Mögliche, selten über Berufliches, nie über Terrorismus. Hin und wieder will Siegfried Buback von seinem Haus in Neureut zum Bundesgerichtshof laufen und nicht gefahren werden. Rapp läuft dann mit ihm. „Da hat man Zeit zu reden“, erinnert er sich.
Buback ist gegenüber dem Kriminalbeamten weisungsbefugt. Er ent- scheidet, wann Rapp Feierabend hat, wann er ihn abholen soll, wann er ihn braucht und wann nicht. Ein sehr angenehmer Mensch sei Buback gewesen und für Rapp auch eine Art „väterlicher Freund“. Buback selbst mochte den angeordneten Begleitschutz nicht besonders. „Er hatte keine Angst“, erinnert sich Rapp. Buback hatte nichts dagegen, dass er den Gründonnerstag freinimmt. Er müsse nur von seiner Wohnung zum Bundesgerichtshof, sagte Buback. Noch ein paar Stunden arbeiten, dann habe auch er Ostern, erklärte der Generalbundesanwalt seinem Personenschützer.
Am Morgen des 7. April 1977 steht Egon Rapp auf einer Holzdiele zwischen zwei Stühlen – ein provisori- sches Gerüst für die Arbeit an der Decke. In der Küche dudelt das Radio, so wie immer. Plötzlich hört Egon Rapp die Nachricht: „Überfall auf den Generalbundesanwalt.“Er greift sofort zum Telefon, ruft bei seiner Dienststelle an. Keine halbe Stunde später sitzt er im Polizeipräsidium und hilft, wo er kann.
„Ich wäre hinten gesessen“, sagt Egon Rapp. Hinten auf der Rückbank des Mercedes. Die Bilder des Fahrzeugs, wie es auf der Kreuzung in der Karlsruher Innenstadt steht, gehen um die Welt. Abgedeckte Leichen liegen auf der Straße, Einschusslöcher im Wagen. Ein Motorrad war an der Ampel neben Bubacks Mercedes gefahren, als das Signallicht auf Gelb sprang, zog der Sozius ein Schnell- feuergewehr aus einer Tasche und schoss in den Wagen. Als Sicherheitskräfte am Tatort eintreffen, sind Siegfried Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel bereits tot, der zwei-
„Er hatte keine Angst.“Egon Rapp über Siegfried Buback
te Begleiter an diesem Morgen, Georg Wurster, erliegt einige Tage später seinen schweren Verletzungen. Kurz nach dem Attentat meldete sich die Rote Armee Fraktion (RAF) zu Wort und erklärte, für den Anschlag verantwortlich zu sein. „Ich hätte es nicht verhindern können“, ist Egon Rapp überzeugt. Natürlich sei er bewaffnet gewesen, er hatte auch eine Maschinenpistole. Aber er wäre nicht mit der Waffe im Anschlag im Wagen gesessen. Und an der Ampel passierte alles in Sekundenschnelle. „Man hätte da keine Chance gehabt“, sagt Rapp. Die Sicherheitsvorkehrungen damals, was den Personenschutz betrifft, waren eben so. Andere Zeiten, heute undenkbar. Auch was die Sicherheit betrifft, hat das Buback-Attentat vieles verändert.
Er mache sich keine Vorwürfe, sagt Rapp, er sei glücklich, dass er am Leben ist. Dann stockt er kurz. Seine blauen Augen glänzen ein wenig. Er sucht nach Worten. Er will nicht vom eigenen Glück reden. Denn andere sind an diesem Tag gestorben. Göbel, der Fahrer, hätte eigentlich gar keinen Dienst gehabt, sprang nur ein, weil der eigentliche Fahrer ausfiel. Wurster, damals Fahrdienstleiter der Bundesanwaltschaft, war nur mitgefahren, weil Buback ihn gebeten hatte, nach dem Motor seines Wagens zu sehen. Sie waren Zufallsopfer des RAF-Terrors. Und Rapp ist ein Zufallsüberlebender.
„Was wäre gewesen, wenn …“, solche Sätze gehen Egon Rapp in den Jahren danach immer wieder durch den Kopf. Er war 1977 junger Familienvater, hatte eine zehnjährige Tochter. Er hatte gerade sein Haus gebaut in der Pfinztalgemeinde Söllingen, im Umland von Karlsruhe, die Finanzierung war ein Wagnis. Sein Tod hätte die Familie in große Schwierigkeiten gestürzt.
„Natürlich denkt man darüber nach“, sagt Rapp, was gewesen wäre, wenn er an diesem Tag Buback begleitet hätte. Immer dann, wenn der Jahrestag näher kommt. Immer dann, wenn Gründonnerstag im Kalender steht. Seit nun über 50 Jahren ist er mit seiner Frau Brigitte verheiratet. Er hat nach dem Buback-Attentat nie daran gedacht, den Job bei der Kripo aufzugeben. In seiner Laufbahn hat er zahlreiche große Kriminalfälle bearbeitet, manches verschwimmt in der Erinnerung. „Aber diesen einen Tag werde ich nie vergessen“, sagt Egon Rapp. Seine Frau Brigitte ergänzt: „Das ist wie ein zweiter Geburtstag.“
Dieser Gründonnerstag, an dem Egon Rapp in seinem Flur eine Holzdecke einziehen wollte.