Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Angriff auf die freie Wissenschaft
Neues Bildungsgesetz in Ungarn durchgepeitscht – Bester Universität droht das Aus
WIEN - Viele Länder könnten sich glücklich schätzen, hätten sie eine so hochgradige Bildungsstätte. Die 1991 gegründete Central European University (CEU) in Budapest gilt als führendes Institut Osteuropas, deren 14 000 Absolventen aus 108 Ländern auch in westlichen Ländern gefragte Fach- und Führungskräfte in Sozialund Geisteswissenschaft sind.
Aber Orbáns Ungarn ist ein anderes Land: Nachdem seine nationalpopulistische Regierung die 28 heimischen Universitäten mit massiven Kürzungen bereits unter Regierungskontrolle gebracht hat, sind nun ausländische Privat-Unis an der Reihe, die ihre Autonomie noch wahren. Trotz massiver Proteste im Inland durch Professoren und Studenten, Solidaritätsbekundungen führender Wissenschaftler aus dem Ausland, darunter 17 Nobelpreisträger, sowie der Spitzenuniversitäten der westlichen Welt, wurde jetzt eine umstrittene Novelle zum Hochschulgesetz durchgepeitscht.
Schließung der CEU im Visier Der Text ist absichtlich vage gehalten, zielt aber auf die Schließung der CEU ab, weil nur sie von den neuen Auflagen betroffen ist. Demnach dürfen künftig ausländische Universitäten in Ungarn nur tätig sein, wenn sie auch in ihren Herkunftsländern einen Campus betreiben. Wörtlich heißt es: „Wer die Bedingungen dieser Gesetzesmodifizierung nicht erfüllt, darf ab 1. Januar 2018 keine Studienanfänger mehr aufnehmen.“Zudem muss der Betrieb durch ein bilaterales Abkommen auf staatlicher Ebene genehmigt werden. Im Fall der CEU sind dies die USA: Deren Hauptfinancier, die „Open Society Foundation“des aus Ungarn stammenden Finanzspekulanten Georges Soros, hat den Sitz in New York, betreibt dort aber keine eigene Universität.
CEU-Rektor Michael Ignatieff scheute auf einer Pressekonferenz in Budapest offene Worte nicht: „Das ist der erste rechtlich verankerte An- griff gegen eine Universität innerhalb der EU.“Dass die CEU die neuen Auflagen nicht erfüllen kann und sich rechtlich dazu auch nicht verpflichtet fühlt, weiß Orbán natürlich. Kämpferisch fügte der Rektor hinzu: „Wir werden der Regierung standhalten und in Budapest bleiben, wir haben nichts Falsches gemacht.“
Viktor Orbán führt seit Monaten gegen Soros eine Hetzkampagne, der 86-jährige jüdische Philanthrop gilt als sein größter Feind. Er habe zu starken Einfluss auf die Politik in Ungarn und stifte „Unruhe“im Land, wirft ihm der Premier immer wieder vor. Soros finanziert zahlreiche Bildungseinrichtungen in Osteuropa und auf dem Balkan, um in diesen Regionen nach dem Sturz der kommunistischen Systeme den Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft zu fördern. Damit stellt sich die CEU gegen Orbáns nationalistisch-populistisches System, das er seit 2010 aufbaut und selbst als „illiberale Demokratie“bezeichnet. Kurioserweise hatte der Premier einstmals sein Machtbewusstsein in Oxford geschärft – mithilfe eines Soros-Stipendiums.
Auch der neue deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte bei seiner ersten Rede vor dem Europaparlament in Straßburg Orbáns Bildungsfeindlichkeit scharf: „Man darf nicht schweigen, wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft die Luft zum Atmen genommen wird wie der CEU.“Der konservative österreichische Europa-Abgeordnete Othmar Karas fügte am Mittwoch hinzu, Orbán „verabschiedet sich aus der europäischen Mitverantwortung, stärkt den Nationalismus und spielt das gleiche Doppelspiel, das in Großbritannien zum Brexit geführt hat“. Die Brüsseler Kommission sollte alarmiert sein: Das neue Gesetz verstößt sowohl gegen die ungarische Verfassung als auch gegen EURecht, denn es garantiert nicht mehr die Freiheit der Forschung und Wissenschaft.
Orbán begründet die Gesetzesnovelle mit dem Scheinargument, damit würde der Wettbewerbsnachteil ungarischer Universitäten gegenüber internationalen beseitigt. In seinem wöchentlichen Radiointerview warf er der CEU „Betrug“vor, weil sie in den USA nur auf dem Papier stehe, aber in deren Namen in Ungarn Diplome vergebe. Rektor Ignatieff wies umgehend den Betrugsvorwurf als Verleumdung zurück.