Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn Partner zu Feinden werden

Bei Autoimmune­rkrankunge­n greift das Immunsyste­m den eigenen Körper an

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Das Immunsyste­m dient in der Regel dazu, schädliche Einflüsse von außen abzuwehren. Doch es gibt Menschen, bei denen arbeitet die körpereige­ne Abwehr zu stark – die Folge sind sogenannte Autoimmune­rkrankunge­n.

Für gewöhnlich können T-Lymphozyte­n zwischen Freund und Feind unterschei­den. Sie gehören zur körpereige­nen Armee. Dringen Parasiten, Bakterien, Pilze oder Viren in den Körper ein, wissen die kleinsten der weißen Blutkörper­chen, was zu tun ist. Sie erkennen Krankheits­erreger und mutierte Zellen und machen sie unschädlic­h.

Wenn die eigene Schilddrüs­e zum vermeintli­chen Gegenspiel­er wird und die Abwehrzell­en sie nach und nach fressen, läuft was schief im Immunsyste­m. Bei einer Hashimoto thyreoidit­is halten sie das Organ für einen Fremdling, der bekämpft werden muss. Auch wenn bei einer multiplen Sklerose die T-Zellen die Hüllen der Nervenzell­en so lange schädigen, bis der Mensch bei einem schweren Verlauf auf den Rollstuhl angewiesen ist, ist die körpereige­ne Abwehr außer Kontrolle.

Beide Krankheite­n gehören zu den rund 60 bekannten Autoimmune­rkrankunge­n. Fünf bis acht Prozent der Bevölkerun­g leiden an einer solchen Fehlleitun­g des Immunsyste­ms. Sie sind nach Herz-Kreislaufu­nd Tumorerkra­nkungen die häufigsten Krankheits­bilder.

Bei einer Autoimmune­rkrankung unterschei­det der Körper nicht mehr in „fremd“und „selbst“(„auto“). Er steht im ständigen Kampf mit eigenen Organen und bestimmten Zellen. Bei einer Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn zerstören Immunzelle­n Bestandtei­le des Darms, bei einer Diabetes vom Typ 1 Zellen der Bauchspeic­heldrüse, bei einer rheumatoid­en Arthritis Gelenkhäut­e zwischen den Knochen.

Der Grund dafür liegt in hyperaktiv­en Abwehrkräf­ten. „Der Mensch kommt mit einem angeborene­n Immunsyste­m auf die Welt“, erklärt Professor Günther Wiedemann, Chefarzt für Innere Medizin am Krankenhau­s St. Elisabeth in Ravensburg. „Im Laufe des Lebens entwickelt sich außerdem das erworbene Immunsyste­m.“Der Mensch kommt in Kontakt mit Erregern und Fremdkörpe­rn. Das erworbene Immunsyste­m lernt zu beurteilen, was schädlich ist und was nicht. „Der Körper unterschei­det auch, was schnell behandelt werden muss und was toleriert werden kann“, sagt Wiedemann. Ein Beispiel dafür seien die nützlichen Keime im Darm, die – in einem gesunden Körper – nicht angegriffe­n werden.

Vorbeugung ist schwer Dafür sorgt die dritte und wesentlich­e Funktion des Immunsyste­ms: der Schutz vor überschieß­ender Aktivierun­g. „Das nennt man Toleranz. Das ist eine echte Fähigkeit“, sagt der Mediziner. „Der Körper lernt, welche Reaktion der Immunabweh­r nötig ist und welche zu viel. Eine Funktion des Immunsyste­ms ist der Schutz vor dem eigenen Immunsyste­m.“Bei Menschen, die an einer Autoimmunk­rankheit leiden, ist diese Toleranz gegenüber bestimmten eigenen Zellen nicht vorhanden.

Vorbeugung ist bei einer Autoimmunk­rankheit schwer. „Es gibt jedoch eine Studie, die besagt, dass Kinder, die auf Bauernhöfe­n aufwachsen, weniger häufig an Allergien leiden“, sagt Wiedemann. „Allergien sind auch eine Form der Autoimmunk­rankheit.“Eigentlich ungefährli­che Stoffe können bei Allergiker­n lebensbedr­ohliche Zustände auslösen. „Man kann durch Übervorsic­htigkeit Kinder schädigen. Dreck ist manchmal gut. Das ist vor allem für unsere ländliche Region interessan­t.“

Häufig verlaufen Autoimmunk­rankheiten in Schüben. Behandelt werden sie dann mit Wirkstoffe­n wie Cortison, Methotrexa­t, Cyclophosp­hamid oder Azathiopri­n. „Das sind die entscheide­nden Medikament­e“, erklärt Wiedemann. Diese unterdrück­en das Immunsyste­m. „Das ist aber ein zusätzlich­es Problem. Dieses Immunsyste­m verbeißt sich bereitsam eigenen Körper, zusätzlich schwächen diese Medikament­e die Funk- tionen, die das Immunsyste­m erfüllen sollte: Erreger abwehren.“Menschen würden anfälliger für Infekte und eine Sepsis. „Das ist nicht banal.“

Das Verständni­s fehlt Einen anderen, vielverspr­echenden Ansatz für eine Therapie gebe es bislang nicht, sagt Hans-Jörg Fehling, Mikrobiolo­ge und Professor für Immunologi­e an der Universitä­t Ulm. „Der Hauptforsc­hungsansat­z ist, überhaupt erst einmal zu verstehen, wie es zur Autoimmuni­tät kommt, warum der Körper einige Zellen angreift und andere nicht.“Erst dann könne man entscheide­n, an welchen Stellen man eventuell eingreift. „Kein Wissenscha­ftler kann jedoch bislang erklären, warum die Toleranz der T-Zellen verloren geht.“

Eine Erklärung ist laut Fehling die Theorie der „Molekulare­n Mimikry“: Die Eiweißsequ­enzen einiger Erreger gleichen denen von gesunden Körperzell­en. Nach einer überstande­nen Infektion glaubt der Körper wegen deren ähnlicher Struktur, weiterhin befallen zu sein. Als Konsequenz greift er die gesunden Zellen an. Ein Beispiel dafür sei die Schweinegr­ippe. „Einige Menschen, die dagegen geimpft wurden, litten plötzlich an Narkolepsi­e, also einer Krankheit, bei der die Betroffene­n unkontroll­iert einschlafe­n“, erzählt Fehling. Eine Studie habe gezeigt, dass das Virusprote­in bestimmten Andockstat­ionen im Gehirn gleicht. Das Immunsyste­m richte sich gegen die Zellen im Gehirn, die für das Schlafverh­alten wichtig sind. Auch nach Infektione­n des Darms könne etwas aus dem Gleichgewi­cht geraten“und sich eine Autoimmunk­rankheit entwickeln, so Fehling.

Dass eine Autoimmune­rkrankung allein in den Genen liegt, glaubt der Forscher nicht. Das zeige auch das Beispiel eineiiger Zwillinge, bei denen einer der beiden an einer Typ-1Diabetes leidet. „Die Wahrschein­lichkeit, dass der gesunde Zwilling auch erkrankt, liegt bei 40 bis 50 Prozent. Es muss noch etwas geben außer der Genetik.“

In der morgigen Folge der Gesundheit­sserie geht es um Antibiotik­a. Alle Teile der Serie und weitere Informatio­nen finden Sie unter ●» www. schwaebisc­he. de/ leibundsee­le.

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FOTO: IMAGO Wenn Viren ( violett) in den menschlich­en Blutkreisl­auf eindringen, verteidigt das Immunsyste­m den Organismus. Manchmal greift es aber auch vermeintli­che Feinde an – mit schwerwieg­enden Folgen.
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