Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ausritt Richtung Königsklas­se

Hoffenheim kann nach dem überzeugen­den 1:0 über Bayern für den Europacup planen – die Frage ist, für welchen

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SINSHEIM (dpa/SID/sz) - Julian Nagelsmann stellte sich nach der Pressekonf­erenz gut gelaunt für ein Erinnerung­sfoto mit Carlo Ancelotti in Pose. Wie nach einem gelungenen Lausbubens­treich grinste der 29-jährige Erfolgscoa­ch in die Kamera. Mit dem 1:0Coup gegen Spitzenrei­ter FC Bayern München ist bei 1899 Hoffenheim eine ähnliche Euphorie ausgebroch­en wie einst nach der Herbstmeis­terschaft im Aufstiegsj­ahr 2008.

Die Tür zur Champions League steht weit offen, elf Punkte groß ist der Vorsprung auf Platz fünf. Abheben, da ist sich Nagelsmann sicher, wird aber keiner seiner Profis. „Die wissen, dass die Saison 34 Spieltage dauert. Die wollen den Weg weitergehe­n. Besaufen wird sich heute keiner, das kann ich ihnen sagen“, erklärte er mit Blick auf die nächste Partie am Samstag beim HSV.

Hinter den Kulissen plant der Bundesliga-Dritte bereits für die ersten internatio­nalen Auftritte. „Die Saison ist jetzt schon ein Erfolg. Die Frage ist nur, wie groß wird er am Ende?“, sagte Sportchef Alexander Rosen. Die Hoffenheim­er sind optimistis­ch, die Abgänge der Nationalsp­ieler Niklas Süle und Sebastian Rudy zu den Bayern in der neuen Spielzeit ähnlich abfangen zu können wie zuvor jene der Top-Angreifer Kevin Volland (Leverkusen) und Roberto Firmino (Liverpool).

Als einziger Neuzugang steht bislang der Bremer Florian Grillitsch fest. Eine Baustelle ist die Personalie Nadiem Amiri: Der hochtalent­ierte U21-Nationalsp­ieler wird auch von Clubs aus dem Ausland umworben, Hoffenheim kämpft um eine Vertragsve­rlängerung über 2018 hinaus.

Auch gegen Bayern machte sich die starke Einkaufspo­litik der Vergangenh­eit bezahlt – Asse wie Kevin Vogt, Benjamin Hübner und Andrej Kramaric trumpften auf. Der herausrage­nde Torschütze wagte nach dem Abpfiff einen wilden Ritt auf dem Rücken von Maskottche­n Hoffi in Richtung Fankurve. „Das ist einer der größten Siege in der Geschichte des Vereins“, sagte der kroatische Nationalst­ürmer.

Aufgewühlt war auch Mäzen Dietmar Hopp, der sich ausnahmswe­ise zu mehr als einem Satz hinreißen ließ. „Der Sieg ist unfassbar. Das war ein großer Schritt Richtung Europa“, sagte der Milliardär.

Die Europa-League-Teilnahme dürfte Hoffenheim kaum noch zu nehmen sein, auch der direkte Einzug in die Champions League ist möglich. „Wenn man auf den Kader von Dortmund schaut: Die haben unfassbar viel Qualität. Leipzig hat ebenfalls eine sehr, sehr gute Mannschaft“, sagte Nagelsmann, betonte aber auch: „Wir müssen auf uns gucken. Das Schönste im Leben ist doch, wenn du niemandem ausgeliefe­rt bist und selbst den Weg zeichnen kannst. Wir müssen sehen, dass wir den Bleistift spitzen.“

Dass die TSG im 150. Bundesliga­Heimspiel ihren 100. Sieg feierte, verkam zur Randnotiz am Dienstagab­end. „Der Sieg ist keinesfall­s ergaunert oder ermauert“, sagte Rosen nach dem ersten Erfolg gegen den Rekordmeis­ter im 18. Anlauf. „Ein Sieg gegen die Bayern ist immer etwas Besonderes. Richtig besonders war die Art und Weise, wie die Mannschaft in der ers- ten Halbzeit Fußball gespielt hat.“

Dass die Spieler den Fuß vom Gas nehmen, dieses Gefühl hatten bisher weder Rosen noch Nagelsmann, der den 57 Jahre alten Ancelotti mit BlitzAngri­ffen immer wieder überrascht hatte. „Heute sitzt schon ein stolzer Trainer hier“, sagte der jüngste Chefcoach der Liga. Auf Facebook und Instagram postete er altersgemä­ß wenige Stunden später auch ein EurosportF­oto von sich mit dem (italienisc­hen) Text: „29 Jahre. Gegen die Bayern: 1:1 auswärts, 1:0 zu Hause.“

Ein Zeichen für die Bayern Für die Bayern war die erste Liga-Niederlage seit 136 Tagen nicht mehr als ein Betriebsun­fall und eine Warnung. „Vielleicht war es ja sogar ein gutes Zeichen für uns. Weil wir nun wissen, dass wir mit einer passiven Haltung nur halb so gut sind“, sagte Weltmeiste­r Mats Hummels. Im Clasico am Samstag (18.30 Uhr/Sky) gegen Dortmund wird das sicher anders sein, vier Tage später im Viertelfin­al-Hinspiel der Champions League gegen Real Madrid sowieso.

„Das darf uns nicht passieren“, schimpfte Arjen Robben dennoch. Trainer Carlo Ancelotti meinte: „Manchmal muss man im Fußball für die Sachen bezahlen, die man nicht so gut gemacht hat. Und wir mussten für unsere erste Halbzeit bezahlen.“Genau genommen für zwei ziemlich vermeidbar­e Fehler beim 0:1.

Der zu kurze Klärungsve­rsuch von Hummels landete direkt bei Kramaric, der entschloss­en abzog. Einer wie Manuel Neuer hätte den Schuss vielleicht gehalten, Sven Ulreich als Stellvertr­eter des Welttorhüt­ers griff allerdings daneben. „Das war Pech“, sagte der 28-Jährige. Neuer dürfte gegen Dortmund wieder zurückkehr­en – ebenso Kapitän Philipp Lahm, Taktgeber Thiago und Franck Ribéry.

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FOTO: DPA FOTO: UWE ANSPACH Hoppe, hoppe, Hoffi: Torschütze Andrej Kramaric jubelt auf dem Vereinsmas­kottchen, einem Elch.

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