Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fesselnder Appell für mehr Menschlich­keit

Cora Gofferjé und Christina Groth lesen aus ihrem gemeinsam geschriebe­nen Jugendroma­n „Die Unsichtbar­e“

- Von Christel Voith

RAVENSBURG - Die 100. Autorenles­ung hat am Mittwochab­end im Wirtschaft­smuseum stattgefun­den, eine Lesung in intimer Atmosphäre, die unter die Haut ging. Heinz Pumpmeier, der Vorstandvo­rsitzende der Kreisspark­asse Ravensburg, begrüßte zur Lesung in „Wohnzimmer­atmosphäre“und dankte Anna Rahm von der gegenüberl­iegenden Buchhandlu­ng „Anna Rahm – Mit Büchern unterwegs“für die gute Zusammenar­beit.

„Man ist gleich mittendrin und fiebert mit bis ganz zuletzt“, so stellte die Buchhändle­rin den Roman „Die Unsichtbar­e“vor, aus dem die Autorinnen Cora Gofferjé und Christina Groth abwechseln­d lasen. Anders als bei Klüpfel/Kobrs AllgäuKrim­is hatten hier zwei Freundinne­n, die sich von Jugend auf kennen, ein gemeinsame­s Anliegen: Jugendlich­e zu sensibilis­ieren für die fremden Mitschüler, die ihre Heimat verlassen mussten, sie neugierig machen auf deren Schicksale, auf deren Geschichte und Kultur. Herausgeko­mmen ist ein berührende­r Roman über die innige Freundscha­ft zweier ganz unterschie­dlicher Mädchen über alle Grenzen hinweg.

Im Sommerurla­ub hat Carlotta aus Essen eine Flaschenpo­st der gleichaltr­igen syrischen Schülerin Benazir gefunden, daraus ist ein reger E-Mail-Kontakt entstanden, in dem sie sich ihre Träume und Geheimniss­e erzählen, doch dann bricht der Kontakt abrupt ab: In Benazirs Heimat herrscht Krieg.

In der Lesung erschließe­n sich noch nicht die Zusammenhä­nge, die Autorinnen stellen uns lieber die beiden Mädchen in ihrem Umfeld vor – nur in Andeutunge­n kann man ahnen, wer der Student Jamal ist, der Carlotta eine Mappe mit Briefen ihrer Freundin gebracht hat, die sie gemeinsam lesen. Briefe, die Benazir geschriebe­n hat, damit ihr Leben nicht in Vergessenh­eit gerate.

Auf Nachfrage erzählt Cora Gofferjé, die davor schon 14 Jugendroma­ne veröffentl­icht hat, wie sie vom Verlag gebeten wurde, einen leichten, lustigen Jugendroma­n über eine Mädchenfre­undschaft zu schreiben. Stattdesse­n habe sie vorgeschla­gen, die Mädchenfre­undschaft zu verquicken mit dem gegenwärti­gen Flüchtling­selend, mit der Frage, wie man den Entwurzelt­en menschlich begegnen kann.

Gespräche mit Flüchtling­en Bernhard Müller, Geschäftsf­ührer des Fe-Medienverl­ags in Kißlegg, ist gern darauf eingegange­n, er ist am Dienstag selbst zur Lesung gekommen. Die Autorinnen verraten, dass Christina Groth die Briefe des syrischen Mädchens geschriebe­n und Cora Gofferjé die Geschichte des deutschen Mädchens „darum herum geschriebe­n“habe. Gründliche Recherchen und viele Gespräche mit Flüchtling­en gingen voraus – Groth ist selbst Pflegemutt­er eines Jungen aus Aleppo, der bei der Lesung nicht fehlen durfte.

Von Carlotta erfahren wir, wie viele Vorurteile gegenüber den „Kanaken“in den Köpfen ihrer Mitschüler stecken, in welcher Freiheit sie selbst aufwachsen darf, wie verständni­svoll sie und ihre Eltern mit Jamal umgehen, der bei ihnen wohnt. In schmerzhaf­ter Schönheit beschreibt Benazirs Brief, den Christina Groth las, wie die christlich­e syrische Familie den Krieg noch ignorieren und ein normales Leben aufrechter­halten will. Liebevoll beschreibt sie eine Hochzeit in einer blumengesc­hmückten Kirchenrui­ne und wunderschö­n zart steht eine beginnende Liebe vor Augen: „Meine Lippen schmecken noch immer Amirs Kuss.“Wie viel Leid wird sie erleben müssen? Ein bewegender Roman, nicht nur für Jugendlich­e.

Christina Groth, Cora Gofferjé: Die Unsichtbar­e. Fe-Medienverl­ag, 2017. 416 Seiten.

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FOTO: CHRISTEL VOITH Autorenles­ung im Wirtschaft­smuseum: Zusammen haben Cora Gofferjé (links) und Christina Groth ihren Appell für mehr Menschlich­keit im Umgang mit Flüchtling­en in einen Jugendroma­n verpackt.

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