Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Depri-Kunst ist nichts für Schenkelklopfer
„Demotivationstrainer“Nico Semsrott sorgt für ausverkauften Linse-Saal
WEINGARTEN - Über das Kürzel „NS“, nimmt man die Anfangsbuchstaben des Namens „Nico Semsrott“, wundert sich der Komiker und Kabarettist nicht. Zum Glück hätten seine Eltern auf einen Vornamen verzichtet, der mit „S“beginnt. Das nennt sich trockener Humor, den Semsrott am Mittwochabend im Kulturzentrum Linse verbreitete. Zum aktuellen Programm „Freude ist nur ein Mangel an Information 3.0“war der Große Saal mit einem Publikum aller Altersklassen ausverkauft.
In dem dunklen Outfit aus Jeans und Kapuzenpullover würde der aus Hamburg kommende Nico Semsrott heute in keiner Fußgängerzone mehr weiter auffallen. Auf der leeren Linse-Bühne schon. Wenn er da so steht wie drei Tage Regenwetter und sich regelmäßig die Kapuze wieder tief über die Stirn zieht. Wer hätte gedacht, dass sich für so einen lachunlustigen Komiker so viele Menschen erwärmen. Immerhin drei Besucher haben ihn schon einmal live erlebt. Für die Mehrheit war der „staatlich nicht anerkannte Demotivationstrainer“infolgedessen eine Premiere. Lachen ist nicht seine Sache. Seine Mimik zeigt keine Regung. Außer in gelegentlichen Ausrutschern, wenn’s nicht anders geht und er freudig den nächsten Fünf-Euro-Schein aus der Tasche zieht. Als Selbstbestrafungsspiel für jedes Lachen gingen die Scheine bisher an einen guten Zweck. Blöd sei das, würde er sich damit doch nur selbst belohnen, und so wandert es nun zur Jungen Union. Das ist Semsrotts trockener Humor, der nichts für Schenkelklopfer ist, sondern tief in alle Poren eindringt. Die erste Runde des Abends läutete er mit einem Kurzabriss seiner Biografie ein. 1986 geboren im Jahr mit dem Super-Gau in Tschernobyl, an einem 11. März, der auch für die Katastrophe von Fukushima steht. Seine Schulausbildung habe er bei den Profis auf einer katholischen Schule genossen, dann einige Wochen studiert und schließlich ein paar Jahre im Bett gelegen. „Zweifeln, resignieren, demotivieren – das kann ich gut“, nahm Semsrott Kurs auf den Sinkflug der Demokratie.
Ein letzter Blick auf das drollige weiße Kaninchen auf der Kinoleinwand, bevor er sich unser aller Feindbilder zuwandte. Zwei Rechteckklammern, die für Geburt auf der einen Seite und für Tod auf der anderen stehen. Dazwischen Leere, die der Mensch mit viel Quatsch füllt. Ob neoliberal oder rechts spiele keine Rolle. Der Rechtsruck in Deutschland ist das Thema der ersten Runde und da beherzigt er seine „97:3-Regel“. Die mache 97 Vollpfosten aus, während drei es draufhaben, wenn es ums Ausmachen von Feindbildern geht. Eine ebenso simple wie eingängige Grafik auf der Leinwand erhellt, wie die AfD im Januar 2015 Schnittmengen mit Pegida gezogen habe. Semsrott pickt die beliebtesten Behauptungen auf wie „Alle Flüchtlinge sind Terroristen“und führt sie mit dem „Terror-Storch Ronny in Brandenburg“ad absurdum. Er rechnet vor, dass auf 255 Europäer ein Flüchtling komme und es in Hamburg 42 000 Millionäre gäbe. Auf seine Fragen nach typischen deutschen Werten kam aus dem Publikum „Bier“und „Kartoffelsalat“, was auf Semsrotts Merkzettel unter dem Stichwort „Weingarten“landete.
Manche Salven schlagen hart ein Die zweite Runde bestritt er mit Szenen aus seinem Innenleben. Frei nach „Meine Freundin ist wie ein Ferienhaus. Ich hab’ kein Ferienhaus.“Diese Logik leuchtet ein. Ebenso wie er den Casual Dress zum Lustkiller degradiert, denn wo bleibe der Inhalt. Hart wurde es bei der Vorstellung von Toten durch unterlassene Hilfeleistung mit Blick auf aktuelle Flüchtlingsdramen, und dem Satz „Ich bin gegen Sklaverei“vor dem Hintergrund heutiger Massenkleidungsproduktion. Besser geht es einem bei „Auf alten Fotos sieht man jünger aus“, denn Semsrott versteht es bei aller Depri-Kunst, auch wieder den Ausgang zu finden. Kurzfristig, bis zur nächsten guten Pointe, die ihn beim „krassen Spannungsfeld in uns“ankommen lässt. Beim erfolgreichen Pianisten, der dann auch mal das stille Örtchen aufsuchen muss. Die einen sagen, ist nicht meine Art. Die anderen sagen, genau. Und Semsrott empfiehlt, zum gelungenen Stoffwechsel zu gratulieren.