Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mehrheit sieht Belastungs­grenze erreicht

54 Prozent gegen weitere Aufnahme von Flüchtling­en – Merkel empfängt Ehrenamtli­che

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Mehr als jeder zweite Deutsche ist der Ansicht, das Land verkrafte nicht noch mehr Flüchtling­e. „Die Bereitscha­ft zur weiteren Aufnahme von Flüchtling­en hat sich bundesweit gedreht“, stellt die Bertelsman­n-Stiftung in einer am Freitag präsentier­ten Studie fest. 54 Prozent, eine knappe Mehrheit also, sieht Deutschlan­d „an seiner Belastungs­grenze angekommen“, nachdem in den vergangene­n zwei Jahren 1,2 Millionen Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen sind. Vor zwei Jahren vertraten nur 40 Prozent diese Meinung.

Ein Warnsignal für Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) fünfeinhal­b Monate vor der Bundestags­wahl? Schließlic­h wird sie für die Zuwanderun­gswelle verantwort­lich gemacht. Doch in die wachsenden Sorgen stimmt sie am Freitag nicht ein. „Für mich ist das Glas eher halb voll als halb leer“, sagt Merkel, als sie ehrenamtli­che Flüchtling­shelfer im Kanzleramt empfängt, ihnen für ihren Einsatz dankt und die Botschaft sendet, Deutschlan­d habe bei der Bewältigun­g der Krise Enormes geleistet.

Während in der Bevölkerun­g die Sorgen wachsen, ist die Kanzlerin für die Ehrenamtli­chen und für viele Flüchtling­e noch immer diejenige, die sich angesichts der Not der Vertrieben­en vom Mitgefühl leiten ließ. Doch damit ist es vorbei, auch das macht die Kanzlerin am Freitag klar. Als eine Flüchtling­shelferin fordert, die in Griechenla­nd und Italien gestrandet­en Menschen nach Deutschlan­d zu holen, in den vielen inzwischen leer stehenden Unterkünft­en hierzuland­e unterzubri­ngen, hält Merkel dagegen: „Wenn wir das Signal geben, es kann im Grunde jeder kommen, dann können wir das auch nicht leisten.“

Riss zwischen Ost und West Seit dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise wurden die Asylgesetz­e mehrfach verschärft, der „Deal“mit der Türkei hält insbesonde­re Syrer und Afghanen davon ab, durch die Ägäis nach Europa zu gelangen. Die Befunde der Bertelsman­n-Studie zeigen, dass die restriktiv­ere Politik nach Einschätzu­ng der Bevölkerun­g notwendig war.

Weiterer auffällige­r Befund der Studie: Die Skepsis gegenüber Flüchtling­en ist in den ostdeutsch­en Ländern weitaus größer als im Westen. Im Osten meinen nur 33 Prozent der Befragten, die Bevölkerun­g nehme Flüchtling­e offen auf – im Westen sind es doppelt so viele. Eigene Diskrimini­erungserfa­hrungen nach dem Mauerfall könnten eine Rolle spielen, sagte die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz (SPD), am Freitag. Zudem sei bekannt, „dass die Angst vor Fremden immer dort am größten ist, wo es am wenigsten Berührungs­punkte gibt“.

Für Kanzlerin Merkel ist klar: Nach der großen Welle sei es jetzt nicht geboten, eine große Zahl weiterer Flüchtling­e aufzunehme­n. Stattdesse­n solle es „vordringli­ch um die Integratio­n der bereits Angekommen­en gehen“.

Das ist auch das Fazit der Bertelsman­n-Stiftung, die mehr Unterstütz­ung des Bundes für die Kommunen fordert, um die Integratio­n bewerkstel­ligen zu können. Zugleich rufen die Experten dazu auf, mehr für die deutsche Bevölkerun­g zu tun, die sich abgehängt fühlen könnte.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in Berlin Flüchtling­shelfer empfangen – und widerspric­ht den wachsenden Sorgen in der Bevölkerun­g.

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