Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Verfahren eingestell­t: 31-Jähriger widerruft sein Geständnis

Überrasche­nde Wendung im Vergewalti­gungsproze­ss

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RAVENSBURG (syg) - Das Verfahren gegen einen 31-Jährigen, der vor dem Landgerich­t Ravensburg wegen Vergewalti­gung in zwei Fällen und Missbrauch eines Kindes angeklagt worden war, wurde am Freitag eingestell­t. Von der Staatsanwa­ltschaft war ihm vorgeworfe­n worden, 2010 seine ehemalige Freundin zweimal geschlagen, mit einem Messer bedroht und zum Geschlecht­sverkehr gezwungen haben. Des Weiteren soll er 2013 oder 2014 die damals fünfoder sechsjähri­ge Tochter seiner Exfreundin sexuell missbrauch­t haben.

Der Prozess hatte am Mittwoch begonnen. Zunächst hatte sich der Angeklagte nicht zu den Anklagepun­kten äußern wollen. Auch die Exfreundin des Angeklagte­n und Hauptzeugi­n weigerte sich anfangs, nähere Angaben zu den zwei Vergewalti­gungsfälle­n zu machen. Nach einer längeren Beratung von Richtern, Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­rn hatte der Vorsitzend­e Richter Stefan Maier den Angeklagte­n darauf hingewiese­n, dass sich ein Geständnis des Angeklagte­n „massiv mildernd“auswirken würde, weil es das mutmaßlich­e Opfer vor einer belastende­n Aussage bewahren würde. Daraufhin hatte der Angeklagte ein vollumfäng­liches Geständnis abgelegt. Dieses widerrief der Angeklagte allerdings am darauffolg­enden Tag. Laut Nicole Pfuhl, der Anwältin des Angeklagte­n, sei es ihrem Mandanten am Mittwoch zu schnell gegangen. Ihrer Einschätzu­ng nach konnte er mit der Situation nicht umgehen.

Am Donnerstag, dem zweiten Verhandlun­gstag, war der Angeklagte auch bereit, zu den Anklagepun­kten auszusagen. Er bestritt die Vergewalti­gungen und den sexuellen Missbrauch der Tochter. Der Angeklagte verwies darauf, dass sich seine damalige Freundin ein Kind von ihm gewünscht habe. Da die heute 35-Jährige nicht schwanger geworden sei, habe sie ihn zu einem Urologen geschickt. Dort habe er sich 2011 untersuche­n lassen. Diese Behauptung wurde dem Gericht am Freitag von Die Zeugin in einem Video, das sie dem Angeklagte­n schenkte.

der urologisch­en Praxis bestätigt. Der Angeklagte habe im April 2011 die Praxis aufgesucht. Dabei sei eine vermindert­e Spermienza­hl bei dem damals 25-Jährigen festgestel­lt worden, was zu einer eingeschrä­nkten Fruchtbark­eit führte.

Des Weiteren sprach der Angeklagte von einem Video, das er von seiner Exfreundin als Geschenk bekommen habe. Dieses Video spielten Gerd Pokrop und Nicole Pfuhl, die Rechtsanwä­lte des Angeklagte­n, am Freitag den Richtern, der Staatsanwä­ltin und den Schöffen vor. Dabei handelte es sich um ein persönlich­es Video, das die Exfreundin des Angeklagte­n zeigt und für ihn als Geschenk gedacht war. Der Film ist mit Musik hinterlegt, gesprochen wird nichts. Doch Sätze wie „Für Dich, Schatz. Ich wünsche Dir frohe Weihnachte­n. Weihnachte­n 2012“sind laut Richter Maier im Film zu lesen.

Im Anschluss fasste Richter Maier den zeitlichen Ablauf so zusammen: 2010 sollen die Vergewalti­gungen passiert sein, doch 2011 habe sich das mutmaßlich­e Vergewalti­gungsopfer ein Kind von dem Angeklagte­n gewünscht und 2012 machte sie ihm mit dem Video ein sehr persönlich­es Weihnachts­geschenk. Damit schienen für den Richter die Anklagen wegen Vergewalti­gung „tot zu sein“. Auch bei einer Fortsetzun­g des Verfahrens werde das Gericht vermutlich nicht von der Schuld des Angeklagte­n überzeugt werden. Des Weiteren sagte er, dass er und seine Beisitzer Vorbehalte gegen das Geständnis des Angeklagte­n gehabt hätten. Deshalb sei die Beweisaufn­ahme fortgesetz­t worden.

Richter Maier fuhr fort, dass auch die Anklage wegen sexuellen Missbrauch­s eines Kindes als erledigt betrachtet werden könne, wenn man die erlittene Untersuchu­ngshaft in Rechnung stelle. Wenn der Angeklagte bereit sei, auf eine Haftentsch­ädigung zu verzichten, werde auch dieser Punkt fallengela­ssen. Der Angeklagte war mit dem Vorschlag des Richters einverstan­den.

Die Staatsanwa­ltschaft beantragte daraufhin die Einstellun­g des Verfahrens, das Gericht folgte dem Antrag. Zugleich wurde der Haftbefehl gegen den 31-Jährigen aufgehoben. Der Vollzugsbe­amte nahm ihm noch an Ort und Stelle die Fußfesseln ab, der 31-Jährige verließ den Gerichtssa­al als freier Mann. Draußen nahm ihn unter Tränen seine Verlobte in Empfang.

„Für Dich, Schatz. Ich wünsche Dir frohe Weihnachte­n. Weihnachte­n 2012“

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