Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Chablis, der unbeugsame Gallier
Mineralisch, stahlig, knochentrocken – ein Chardonnay der besonderen Art
Auf den Kalksteinböden, die denen der nahen Champagne ähneln, haben schon die Römer Weinbau betrieben. Verbürgt ausnahmsweise nicht bei
Caesar, dessen Legionen den Wein hierher gebracht haben, sondern in der Biographie des römischen Kaisers Probus. Später waren es die Zisterziensermönche der architektonisch imposanten, allemal einen Abstecher werten Abtei Pontigny, die dem Chablis seit 1119 zu zunehmender Blüte verhalfen. Im Mittelalter stand der Chablis, der auf der Yonne nur etwa 150 Kilometer weit nach Paris verschifft werden musste, bei den französischen Königen in besonderer Gunst. In jüngerer Vergangenheit hat Ernest
Hemingway, in dessen Leben manch gutem Glas die Stunde schlug, den Chablis als Begleiter von Austern hochgeschätzt. Eine kongeniale Alliance, die es ohne jede Einschränkung zu empfehlen gilt.
Der vom markanten, manche Chablis-Etikette zierenden Dachreiter der Eglise St. Martin überragte Marktflecken Chablis, der jeden Sonntag mit einem farbenprächtigen Marché aufwartet, liegt am Flüsschen Serein, was vom Lateinischen „serenus“abgeleitet ist und fröhlich, heiter bedeutet. Serein steht auch für hell und klar und beschreibt den Stil eines Chablis fürs Erste schon recht treffend.
Der ausschließlich aus Chardonnay gewonnene Chablis kann sich glücklich preisen, schon vor geraumer Zeit in den Bistros von Paris vom Sancerre als Modewein abgelöst worden zu sein, der mittlerweile gar einem zum Botschafter globalen Chics gekürten Prosecco weichen durfte.
Vielleicht ist es nicht zuletzt diesem Umstand zu danken, dass der Chablis seinen Weg unbeirrt vom Diktat aller Trends und den damit verbundenen Versuchungen gehen konnte und heute mit einer in der Weißweinwelt schwer zu überbietenden Preis-Leistungsrelation aufwartet!
Obgleich Chablis geographisch im nordwestlichen Burgund angesiedelt ist, wäre es aufgrund der völlig eigenständigen Charakteristika seiner Weine verfehlt, diese als weiße Burgunder zu bezeichnen. Andersartigkeit von Böden, Mikroklima und Holzeinsatz bringen – wenn auch aus derselben Traube gewonnen – grundverschiedene Gewächse hervor. Die exotischen, gebutterten und getoasteten Töne eines Meursault oder Puligny-Montrachet & Co. sind in weiter Ferne.
Vier qualitative Kategorien von Chablis gilt es zu unterscheiden, der Basiswein heißt Petit Chablis und die Schüchternheit seiner Namensgebung ist singulär. „Kleiner“Riesling oder „little“Cabernet Sauvignon zieren nirgendwo ein Etikett, und in Bordeaux heißt noch das fünfte Gewächs „Grand“Cru Classé. Die Hierarchie führt vom Dorflagen-Chablis über den Chablis Premier Cru weiter zum Grand Cru. Und doch haben die vier Qualitätsstufen der Chablis-Weine, die niemals sättigend, sondern stets inspirierend wirken, gemeinsame Grundcharakteristika.
Für die Typizität eines Chablis stehen die klar gelbe Farbe, die bei einem Pt. Chablis oder Chablis leicht ins Grünliche, bei einem 1er oder Grand Cru in einen goldgelben Ton tendiert, eine knackige Frische dank markanter, oft stahliger Säure, der meist knochentrockene Geschmack mit – oft spartanisch bemessenen – Aromen von Zitrusfrüchten (Zitrone, Limette, Pampelmuse), grünen Äpfeln, Birnen und Ananas, stark mineralischen Noten, mitunter Anklänge an Feuerstein, viel Finesse und ein schlanker, sehniger Körper, der Nerv und Rasse vermittelt.
Diese sensorischen Eigenschaften sind einer Vinifizierung und einem Ausbau zu danken, die die geschmacklichen Nuancen, die die Chardonnay-Traube aus dem kalkhaltigen, mit mineralischen Einschlüssen durchzogenen Terroir in weit nördlicher Anbaulage zieht, mit möglichst wenigen Eingriffen unterstützen und Verfremdungen tunlichst vermeiden. Dies bei durchaus unterschiedlichen stilistischen Ansätzen, die – wie überall im Weinbau – auch hier zu finden sind.
Lange wurde einem Glaubensbekenntnis gleich der Kontakt mit jungem Holz vermieden. Beton und Stahltanks dominierten die Kellerausrüstung der Gemeinden auf der nur circa 4500 Hektar großen Anbaufläche des Chablis. Heutzutage ist der Ausbau im Holz längst kein Tabu mehr. Pragmatismus steht vor Dogma. Wo Barriques eingesetzt werden, erfolgt dies mit Zurückhaltung, je neuer die kleinen Fässer, desto kürzer die Verweildauer. Ihren Reiz haben sowohl die ausschließlich im Beton oder Stahl vinifizierten Chablis, als auch die mit einem zarten Holzton um eine zusätzliche Nuance versehenen Gewächse. Selbst dort, wo der Kontakt mit dem Holz der Barriques auf manchen Domainen weniger knapp bemessen wird, meist für den Ausbau von 1er oder Grand Crus, achtet man darauf, dass Grundcharakter und Typizität der Provenienz Chablis nicht überdeckt werden. Ein Hauch Vanille oder eine Prise Karamell können einen Mosaikstein im Geschmacksgefüge setzen, aber sie dominieren den Wein nicht. Auch hier gilt: Eleganz und Finesse vor Muskelspiel, Mineralik und Expression des Terroir vor kellergemachten Noten.
Passend zu Hummer und Fisch
Viel Trinkfreude für wenig Geld, mit Gradlinigkeit im traditionell-schlanken Stil und frischer Säure, kann man mit einem Petit Chablis im Glas haben und ein guter Dorflagen-Chablis lässt zu Hummer, Fisch und Meeresfrüchten kaum jemals Wünsche offen. Die Entscheidung für einen Cru Premier
belohnt den Weinfreund mit einer Steigerung in Dichte, Tiefe und Komplexität, die sieben Grand
Crus spiegeln in aller Regel die ganze Magie und Alterungsfähigkeit eines großen Chablis wider und können – hier seien vor allem Les Clos und Les Preuses genannt – zu den zauberhaftesten Weißweinen weltweit zählen.
Besonders in den drei letztgenannten Kategorien ist auf die Differenzierung im Ausbau zu achten. Inox, Inox und Holz oder seltener Holz alleine stehen für unterschiedliche Gewichtungen in den sensorischen Nuancen.
Mit beinahe puristischer Strenge wird jeder Holzkontakt bei Jean Durup Père & Fils gemieden, Vincent Dauvissat vergärt und baut im Holz aus, weil er die Säure seiner Chablis abmildern möchte, auch Francois
Raveneau arbeitet (auf qualitativ wie preislich hohem Niveau) mit Holzfässern. William Févre vergärt im Stahltank und baut im Barrique aus, Bernard Defaix hat die Balance zwischen Holz und Stahl ebenso großartig gefunden wie Jean & Sébastien Dauvissat und die Genossenschaft La Chablissienne, die in Chablis seit Jahrzehnten Maßstäbe zu fair kalkulierten Preisen setzt.
Santé zu einem Glas Chablis, der so provozierend unmodern punktet…