Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Phänomen Petersen und die Lust auf Europa
Freiburg feiert 18. Jokertor des Stürmers – Mainz hält an Trainer Martin Schmidt fest
FREIBURG - Der Respekt in schwerer Stunde war Martin Schmidt gewiss. Freiburgs Trainer Christian Streich ließ nach dem glücklichen 1:0-Sieg gegen Mainz 05 keinen Zweifel an der Wertschätzung für seinen Kollegen, der nach der fünften Niederlage in Serie um seinen Job fürchten musste. „Man sieht doch, wie intakt die Mainzer Mannschaft ist“, sagte Streich. „Es fehlte nur das Quäntchen Glück, um bei uns zu gewinnen.“Dem Plädoyer folgte 18 Stunden später das Treuebekenntnis von MainzSportdirektor Rouven Schröder: „Martin Schmidt hat das einhundertprozentige Vertrauen. Die Frage nach dem Trainer brauchen Sie mir jetzt nicht mehr zu stellen. Wir werden das bis zum Ende mit ihm durchziehen. Wir drehen die Mechanismen um.“
Von den Mechanismen der Branche hat Streich noch nie etwas gehalten, weshalb er bereits im Vorfeld des Spiels Partei für Schmidt ergriffen hatte. Die Umarmung der beiden Trainer nach den 90 Minuten fiel denn auch besonders herzlich aus. Schmidt bedankte sich für die „warmen Worte, die mir und meiner Familie sehr gutgetan haben“. Streich sei „ein wichtiger Mann in der Liga. Ich nenne ihn das Gewissen der Liga.“Dazu passt, dass dem SCF-Trainer der schmeichelhafte Sieg unangenehm war. „So, wie wir gespielt haben – das war nicht Freiburg. Normalerweise versucht Freiburg zu kicken.“Nach mehreren Verletzungsausfällen wollte Streich aber „vor allem auf Stabilität achten. Es ging heute nur so. Wir mussten schauen, dass wir gut verteidigen. Aufgrund des Spielverlaufs hätten wir mit einem Punkt zufrieden sein müssen. Mainz war fußballerisch besser.“
Es dauert nur 27 Sekunden Den besseren Torriecher aber besaß ein Freiburger. Nur 27 Sekunden nach seiner Einwechslung traf Nils Petersen zum 1:0 (70.). Einen hoch abgewehrten Ball im Strafraum hatte Lukas Kübler Richtung Tor befördert, Florian Niederlechner verlängerte – und mit der ersten Ballberührung traf Petersen. Der Rekord ist damit eingestellt: 18 Tore als Joker hat in der Bundesliga-Geschichte neben Petersen nur Alexander Zickler erzielt. „Er hat eine außergewöhnliche Technik, hadert nicht mit der Ersatzrolle, kommt total fokussiert auf den Platz und haut sich voll rein“, erklärte Streich das Phänomen Petersen. „Er ist Gold wert mit seiner Abstrahlung auf junge Spieler, die mit solchen Dingen noch nicht gut umgehen können.“Niederlechner hatte im Stadionmagazin den Stimmungseffekt so beschrieben: „Wenn er hier im Stadion eingewechselt wird, kocht es noch mal richtig, da hat auch jeder Gegner brutalen Respekt.“
Petersen gab auch nach dem Spielschluss die Richtung vor: „Wir haben jetzt 41 Punkte, das hat uns kaum jemand zugetraut. Jetzt sind wir durch und können uns neue Ziele setzen. Den Abstiegsdruck sind wir los, jetzt freu’ ich mich auf positiven Druck. Ich habe Lust darauf, noch viele Punkte zu holen und ein bisschen zu träumen von Europa.“
Klopp motiviert 05 aus Liverpool Eher Alpträume plagen die Mainzer. „Der Druck für den Verein wird immer größer“, sagte Sportdirektor Schröder. Die Mainzer Malaise hat im fernen Liverpool selbst Ex-05Trainer Jürgen Klopp auf den Plan gerufen. In einem Motivationsvideo, das zwei Mainzer Fans bei einem Besuch in Liverpool aufgenommen haben, appellierte Klopp an die ganze Stadt, im Abstiegskampf Zusammenhalt zu beweisen. Trotz zweier Meistertitel mit Borussia Dortmund 2011 und 2012 sei sein größter Erfolg als Trainer der Aufstieg 2004 mit Mainz gewesen, verriet Klopp und hielt eine flammende Rede: „Jeder, der sich daran wieder erinnern kann, der muss jetzt aufstehen. Muss sich eine Karte fürs Stadion kaufen und muss im Heimspiel gegen Hertha BSC dabei sein. Das ist das, was Mainz immer ausgemacht hat. Wir haben mehr Schläge abbekommen als möglicherweise die meisten anderen Vereine. Aber wir sind immer gestärkt daraus hervorgegangen.“Klopp beendete seinen Aufruf mit einem Wunsch: „Da ich irgendwann nach Mainz zurückkehren werde, um dort zu leben, wär’ ich, ehrlich gesagt, froh, wenn da Erstliga-Fußball gespielt wird.“
Für so viel Herzblut und Verbundenheit mit Mainz kann es nur ein Wort geben: Respekt. Regionalliga Südwest (32. Spieltag) SSV Ulm 1846 – Hessen Kassel 1:2 (1:1) Tore: 1:0 Halili (3.), 1:1, 1:2 Albrecht (29., 83., Foulelfmeter). – Gelb-Rote Karte: Bagceci (Ulm; 85.). – Rote Karten: Reichert (Ulm; 90.+4), grobes Foul; Khadraoui (Kassel; 90.+4), Tätlichkeit.