Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Strom billiger, Benzin teurer
Die Organisation Agora fordert eine neue Ökosteuerreform und will damit vor allem Stromkunden entlasten
BERLIN - Halter von Benzin- und Dieselfahrzeugen würden draufzahlen. Auch Hausbesitzer und Mieter, die mit Erdgas oder Öl heizen. Zu den Gewinnern gehörten dagegen Millionen privater Stromkunden und Firmen, deren Elektrizitätsrechnungen während der vergangenen Jahre gestiegen sind.
Strom soll billiger werden, Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas dagegen teurer. So lautet die am Montag veröffentlichte Empfehlung der Organisation Agora Energiewende. Ein Mittel dafür sei es, die staatlichen Steuern und Abgaben auf Elektrizität zu senken, für die fossilen Energielieferanten dagegen zu erhöhen. Sonst sei der Weg von der „Strom- zur Energiewende“nicht zu schaffen, sagte Agora-Chef Patrick Graichen.
Begründung: Obwohl Strom zunehmend klimafreundlich werde – ein Drittel stammt bereits aus regenerativen Quellen – liege die Steuerbelastung viel höher als bei fossilen Energieträgern. Umweltfreundliches Verhalten werde damit bestraft, klimaschädliches jedoch belohnt, so Agora. Die Organisation, die interessenund parteiübergreifende Denkanstöße zur Energiepolitik geben will, hat die zugrundeliegende Studie „Neue Preismodelle für Energie“vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), von der Technischen Universität Clausthal und dem Institut E-Bridge erarbeiten lassen.
Graichen hält das Thema für ein wesentliches der nächsten Legislaturperiode, die nach der Bundestagswahl im September startet. Agora versucht damit, eine neue Ökosteuerreform anzuschieben. Die rot-grüne Bundesregierung setzte ab 1999 den ersten Schritt um. Mittlerweile diskutiert die SPD immer mal wieder, die Energiesteuer auf Elektrizität zu verringern, um Privathaushalte und Firmen von den hohen Stromkosten zu entlasten, bislang jedoch ohne praktisches Ergebnis. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), dessen Beirat der ehemalige SPD-Finanzminister Hans Eichel leitet, entwickelt ähnliche Pläne wie Agora.
Knapp 60 Prozent Abgabenlast Wenn man die staatlichen Steuern, Abgaben und Umlagen auf die Einheit Kilowattstunde (kWh) bezieht, sind sie beim Stromverbrauch am höchsten. Dort betragen sie 18,7 Cent pro kWh. Das sind etwa 60 Prozent des Endkundenpreises, den die Stromversorger Haushalten und Firmen in Rechnung stellen. Das Vergleichsportal Verivox kommt in einer aktuellen Berechnung zu einem ähnlichen Ergebnis. Während der vergangenen Jahre sei der Anteil der Abgaben beträchtlich gewachsen.
Stromerzeuger werden dagegen nur mit 0,3 Cent pro Kilowattstunde herangezogen. Von Liter auf Kilowattstunde umgerechnet beträgt die Steuer beim Benzin 7,3 Cent, für Diesel 4,7 Cent, für Erdgas 2,2 und bei leichtem Heizöl 0,6 Cent pro kWh. Die angeblich viel geringere Belastung für Benzin und Diesel mag erstaunen, liegt doch die Steuer pro Liter an der Zapfsäule ebenfalls über 60 Prozent – also vermeintlich in derselben Größenordnung wie beim Strom. Die Bevorzung des Autotreibstoffs ergibt sich laut Agora jedoch infolge der Umrechnung auf die Einheit kWh.
Diese Struktur wird laut Agora zunehmend zum Problem. Beispielsweise benachteiligen die hohen Stromkosten Autofahrer, die auf EAutos umsteigen. Benziner und Diesel erhalten dagegen eine relative Vergünstigung.
Nullsummenspiel für Verbraucher Die Wirkung einer solchen Steuerreform für die Bürger und Verbraucher ist augenblicklich schwer abzusehen. Vermutlich würde für sehr viele Haushalte die Summe unter dem Strich Null betragen. Für Autofahren und Heizen müssten sie mehr bezahlen, für Haushaltsstrom dagegen weniger.
Derzeit wolle man noch keinen genauen Reformvorschlag machen, „sondern erst einmal die Handlungsoptionen analysieren“, sagte Graichen. Eine Variante bestünde in der Angleichung der unterschiedlich hohen Steuersätze. Ein zweites Modell hat vor Jahren bereits der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer vorgeschlagen: Die Kosten der Energiewende beim Strom würden ganz oder teilweise in einen steuerfinanzierten Fonds ausgelagert. Die Stromverbraucher müssten sie dann nicht mehr alleine tragen. Aus diesen und weiteren Varianten will Agora in der kommenden Zeit ein umsetzbares Konzept entwickeln.