Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der 90-jährige Hermann Bausinger fasziniert mit hellwachem Geist
In der Linse stellt er seine „Schwäbische Literaturgeschichte“vor
WEINGARTEN - Zur Vorstellung von Hermann Bausingers „Schwäbischer Literaturgeschichte“durch den 90-jährigen Autor hat der Kulturkreis Weingarten am Sonntagabend in das Kulturzentrum Linse eingeladen, und sehr viele sind gekommen.
Eigentlich war und ist Hermann Bausinger einer der herausragenden Volkskundler in Deutschland und über viele Jahre hinweg Leiter des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, doch hier hat er eine Literaturgeschichte geschrieben. Dass er sich in der Germanistik bestens auskennt, und zwar bis in die kleinsten Details, zeigte sich gleich zu Beginn seiner Lesung und in der anschließenden Fragerunde.
Im vergangenen Herbst 90 geworden, ist Bausinger hellwach, schlagfertig, bringt leise Ironie, lächelt verschmitzt – und er fasziniert. Seine Zuhörer muss er nicht erst gewinnen, die meisten kennen ihn und genießen die Mischung aus Lesung und Vortrag. Sie genießen es, dass er nicht einfach Literaten vorstellt, sondern – und da ist er ganz Volkskundler und Kulturwissenschaftler – immer das Umfeld miteinbezieht.
Strömungen analysieren „Braucht man heute noch eine regionale Literaturgeschichte, es gibt doch Wikipedia?“, so seien seine Überlegungen gewesen, doch was er wollte, war „nicht Fische fangen, nicht einfach Texte besprechen, sondern die Strömungen analysieren“: Sein Anliegen war der Versuch einer Zusammenführung, der Versuch, Zusammenhänge herzustellen. So hat er unter dem Aspekt „Wie gehen die Schwaben mit ihren Dichtern um?“viele Seiten den Dichterjubiläen gewidmet. Wichtig seien ihm auch weniger beachtete Literaturzweige wie ironische oder satirische Schriften gewesen, ebenso ein Blick auf vernachlässigte oder fast vergessene Personen wie Christoph Martin Wieland oder Max Eyth, ebenso habe er sich bemüht, angesichts der dominanten männlichen Kultur den weiblichen Teil etwas zu stärken, allerdings sei er da wenig fündig geworden. Nur am Rande vorkommende Zeiten der Literaturgeschichte wie die Revolutionsgeschichte von 1848 waren ihm ebenso ein Anliegen wie das stärkere Herausstellen von Regionen wie etwa Oberschwaben.
Das Buch setzt ein um die Zeit, als die Französische Revolution die politische Landschaft Europas umwälzte, also kein Rückgriff auf ruhmreiche Zeiten der Schwaben im Mittelalter. Die Definition dessen, was die Schwaben ausmacht, steht immer irgendwie im Hintergrund. Schmunzelnd erzählte er, dass Hermann Hesses Verlag (Suhrkamp) pikiert war, weil er Hesse als Schwaben requirierte und zudem an seinem Ruhm kratzte: „Gerade an den enormen Verkaufserfolg heftet sich der Verdacht auf triviale Attraktionstricks, und die Kritik an tiefenpsychologischer Verkündigung und esoterischen Passagen ist sicher nicht immer unbegründet.“Solche Geplänkel genießt er.
„Glückliche Rückständigkeit“Bausingers Humor zeigt sich deutlich, wenn er ins Detail geht, beispielsweise wenn er aus Ritter Michael von Jungs Grabreden zitiert. Was wollte die Obrigkeit tun gegen einen Mann, den der König wegen seines Einsatzes während der Typhusepidemie von 1814 mit dem persönlichen Adel geehrt hatte? Als Beispiele für seinen Kontakt zur Region seien auch die „drei Marien“– Maria Müller-Gögler, Maria Menz und Maria Beig – genannt, dazu Autoren wie Peter Hamm oder Peter Renz und natürlich Martin Walser. So wie Elmar L. Kuhn 2005 in seiner Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die PH Weingarten von der „glückhaften Rückständigkeit“Oberschwabens sprach, sieht auch Bausinger in einem Essay die „glückliche Rückständigkeit“in der schwäbischen Literaturgeografie.