Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Warten auf Rettung: In Ravensburg nur fünf Minuten
Mehr Notfälle, kürzere Einsatzzeiten – Rund 100 Besucher täglich in der Notaufnahme
RAVENSBURG - Die Rettungsleitstelle in Ravensburg verzeichnet immer mehr Notrufe. Doch trotz steigender Einsatzzahlen hat sich die sogenannte Hilfsfrist in den vergangenen Jahren verbessert: Durchschnittlich etwa sieben Minuten nach Notrufeingang ist der Notarzt beim Patienten, im Ravensburger und Weingartener Stadtgebiet sogar rund zwei Minuten früher. Auch die Notaufnahme der Oberschwabenklinik (OSK) wird immer häufiger von Patienten aufgesucht. Dort können sogar zwei Schwerverletzte gleichzeitig versorgt werden – rund um die Uhr, an jedem Tag.
Wer aus dem Kreis Ravensburg die Notrufnummer 112 wählt, erreicht direkt die Rettungsleitstelle des DRK in der Ulmer Straße in Ravensburg. Von dort aus werden unter anderem die zehn im Landkreis stationierten Rettungswagen sowie 19 Krankenwagen in Bewegung gesetzt. Der Disponent am Telefon entscheidet, welche Rettungsmittel benötigt werden, wie viele Fahrzeuge geschickt werden, ob eine Indikation für den Notarzt vorliegt. Während des Telefonats errechnet das computergestützte Einsatzleitsystem alle notwendigen Rettungsmittel für den jeweiligen Fall, erklärt Volker Geier, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdiensts. Wie schnell und mit welchem Aufgebot an Rettungsmitteln ein Notfall bedient wird, richtet sich nach der Dringlichkeit: Die Patienten werden, je nach Schweregrad ihrer Erkrankung oder Verletzung, einer von sechs Dringlichkeitsstufen zugeordnet. Patienten, die nicht vital bedroht sind, müssen an manchen Tagen mit etwas Wartezeit rechnen – und schwereren Fällen den Vortritt lassen.
Der Notarzt kommt zum Einsatz, wenn vermutlich eine lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung zu versorgen ist. Die OSK stellt tagsüber zwei Notärzte, in der Regel Anästhesisten, ab 16 Uhr steht ein Notarzt bereit. Der Notarzt wird von einem Rettungsassistenten mit einem SUV zum Einsatzort gebracht – laut OSK-Statistik 2600-mal pro Jahr. Zusätzlich wird ein Rettungswagen benötigt, der mit mindestens einem Rettungsassistenten und einem Rettungssanitäter besetzt ist. Bei diesem sogenannten Rendezvous-System steht der Arzt gegebenenfalls nach der Erstversorgung sofort wieder für einen Folgeeinsatz zur Verfügung.
Einsatzfrequenz hat zugenommen Obwohl die Einsatzfrequenz auch 2016 mit mehr als 26 000 Notfällen im Kreis Ravensburg weiter zugenommen hat, sind die Einsatzfristen laut Geier seit Jahren konstant: Landkreisweit war der Notarzt 2016 durchschnittlich nach 7:05 Minuten beim Patienten, im Stadtbereich im Schnitt schon nach 5:10 Minuten. Trotz aller Bemühungen kann die vom Gesetzgeber geforderte Hilfsfrist von maximal 15 Minuten im Zuständigkeitsbereich der Rettungsleitstelle aber nicht immer eingehalten werden, erklärt Geier: „Was die notärztliche Hilfsfrist betrifft, sind die ländlich geprägten und gering besiedelten Gebiete ausschlaggebend für die Verfehlung des Sollwertes.“Dort sind die Anfahrtswege weit. Bei Bedarf wird auch der Rettungshubschrauber aus Friedrichshafen angefordert. Der erreicht nach dem Abheben das Schussental innerhalb von drei Minuten.
„Ein Organismus, der nie schläft“Nicht jeder Notfallpatient kommt mit dem Rettungswagen oder Helikopter zum Krankenhaus. Manche erreichen die Notaufnahme auf privatem Weg. Die ist zur Hauptzeit zwischen 10 und 22 Uhr mit vier Pflegekräften und zwei Fachangestellten besetzt. Die Ravensburger Klinik sei ein „Organismus, der nie schläft“, betont der ärztliche Direktor Jan-Ove Faust: „Wir sind auch samstagnachts da und können gleichzeitig mehrere Notfallpatienten aus dem Stand versorgen.“Bis zu zehn Behandlungsplätze können belegt werden. Für die Versorgung eines Schwerstverletzten, die Mediziner sprechen von Polytrauma, stehe innerhalb von zehn Minuten ein bis zu 50-köpfiges Team bereit: „Beim Polytrauma ist der zeitliche Aspekt entscheidend.“
Das Ravensburger EK ist zentrales Krankenhaus eines regionalen Traumanetzwerks: Dort sind neben der Unfallchirurgie alle erforderlichen Fachdisziplinen vorhanden. Bis auf perforierende Augenverletzungen und schwere Verbrennungen können hier alle Notfälle behandelt werden, betont Franz Maurer, Leiter des Traumazentrums: „Je schwerer die Verletzung ist, desto eher fällt er sie unseren Bereich.“
Rund 100 Patienten kommen täglich in die Notaufnahme, etwa die Hälfte davon waren unfallchirurgische Fälle. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der erwachsenen Patienten um zehn Prozent auf 36 500. Bei 70 bis 100, schätzt Maurer, bestand Lebensgefahr. 50 Prozent der Besucher wurden stationär aufgenommen, der Rest konnte die Notaufnahme nach ambulanter Behandlung verlassen. Wie schnell jeder Besucher einen Arzt zu Gesicht bekommt, richtet sich nach der Dringlichkeit: Die Patienten werden, je nach Schweregrad ihrer Erkrankung oder Verletzung, einer von fünf Dringlichkeitsstufen zugeordnet. Besucher in der leichtesten Stufe müssen an manchen Tagen mit bis zu zwei Stunden Wartezeit rechnen. Seit Einführung des elektronischen Patientenmanagements seien die Beschwerden wegen langer Wartezeiten deutlich zurückgegangen, berichtet OSK-Sprecher Winfried Leiprecht.
Die Zunahme der Fallzahlen in der Notaufnahme führt Franz Maurer unter anderem darauf zurück, dass vermehrt Altersfrakturen zu versorgen seien. Es stellen sich aber auch immer mehr Patienten vor, die den Hausarzt nicht erreichen oder dessen Praxiszeiten ungünstig sind. Auf 50 bis 60 Prozent der ambulanten Fälle schätzt Faust diesen Anteil. Die könnten auch in der KV-Praxis am Krankenhaus, die am Wochenende geöffnet ist, versorgt werden. Dass der Notarzt mit solchen Fällen verstärkt behelligt wird, kann Volker Geier vom DRK nicht bestätigen. Notrufe „aus der Hosentasche“hingegen seien ein Phänomen, das „unfassbar oft“auftrete. Da die Leitstelle auch sogenannte unterdrückte Nummern erkennt, kann dies aber durch einen Rückruf schnell geklärt werden. Die Rettungsleitstelle Oberschwaben des DRK in Ravensburg ist für medizinische Notfalleinsätze sowie Feuerwehreinsätze in den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodensee zuständig und koordiniert auch die Krankentransporte. Sie ist für Notfälle erreichbar unter der Nummer 112. Die von den Anrufern am häufigsten genannten Beschwerden sind Stürze aus großer Höhe und Bewusstlosigkeit – deshalb wird viermal so oft der Rettungsdienst gerufen wie wegen Verkehrsunfällen. Wenn kein ernster Notfall vorliegt, der Hausarzt aber nicht erreichbar ist, erfährt man unter der Nummer 116117 von der Leitstelle, welcher Arzt im Rahmen des kassenärztlichen Notfalldienstes gerade Dienst hat. (beß)