Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Feldhase im Scheinwerferlicht
An der Wildforschungsstelle in Aulendorf interessiert das Tier nicht nur zu Ostern – Revier Bodnegg ist Zählgebiet
AULENDORF/BODNEGG - Die Dämmerung ist an diesem Montagabend im April bereits der Nacht gewichen, als Guido Dalüge kurz nach 21 Uhr seinen Geländewagen auf einen Feldweg nahe Bodnegg lenkt und anhält. Auf dem Beifahrersitz greift Stephan Rist nach dem Suchscheinwerfer, lässt das Beifahrerfenster herunter und streckt seine rechte Hand samt eingeschaltetem Scheinwerfer hinaus. Milde Frühlingsluft strömt herein, und langsam rollt der Wagen wieder an. Die kommende Stunde wird das so bleiben, denn Dalüge und Rist sind auf der Suche nach Feldhasen.
Wer wissen will, wie es im Ländle um den „Osterhasen“steht, muss Guido Dalüge fragen. Der Forstingenieur arbeitet in der Wildforschungsstelle in Aulendorf und betreut seit 2003 die Feldhasenzählung. Das Revier in Bodnegg ist eines von 180 Zählgebieten in Baden-Württemberg, in denen Jäger wie Stephan Rist ehrenamtlich im Frühjahr und im Herbst auf Hasenzählung gehen.
Einheitliche Zählmethode Die Methode ist dabei denkbar simpel. Benötigt werden ein geländegängiges Fahrzeug, ein 150 Meter weit strahlender Handscheinwerfer, ein Fernglas und das DIN-A4-Formblatt, auf dem die Sichtungen eingetragen werden. Entlang einer genau festgelegten Fahrstrecke wird das Gelände abgeleuchtet. Feldhasen, die sich nachts gerne aus der Deckung in offenes Gelände mit niedrigem Bewuchs wagen, werden so im Lichtkegel sichtbar – oder besser gesagt, meist ihre rot reflektierenden Augen. Doppelzählungen, sagt Dalüge, seien eher ausgeschlossen. Zum einen seien schon die Fahrstrecken passend angelegt, und außerdem: „Es ist ja auch nicht so, dass die Hasen lossprinten, wenn sie angeleuchtet werden“, sagt Dalüge. Der Hase bleibt sitzen.
Ein Verhalten, das dem Feldhasen in stark bewirtschafteter Landschaft mit häufiger Mahd zum Problem wird. Denn die Mähmaschinen werden immer schneller. Oft fällt der Feldhasennachwuchs den anrückenden Maschinen zum Opfer. Denn die Hasen werfen ihre Jungen in Bodenmulden und nicht wie Kaninchen in einem Bau. Wenn die Maschine kommt, ducken sich die kleinen Tiere in der sogenannten Sasse nur. Selbst größere Jungtiere schaffen es oft nicht, rechtzeitig wegzuhoppeln, und werden so getötet. TRAUERANZEIGEN
In der Bodnegger Nacht rollt der Geländewagen weiter mit rund 30 Stundenkilometern die Feldwege entlang, während im Licht des rechtwinklig zur Fahrtrichtung gehaltenen Suchscheinwerfers umgepflügte Äcker und Wiesen, Weidezäune und Obstbäume aus dem Dunkel auftauchen. Ab und an erhellen Blitze am Die Feldhasenzählung in BadenWürttemberg wird von der Wildforschungsstelle des Landwirtschaftlichen Zentrums BadenWürttemberg (LAZBW) mit Sitz in Aulendorf betreut. Sie ist Teil des Projekts „Niederwildzensus in Baden-Württemberg“, das in enger Zusammenarbeit mit der Jägerschaft durchgeführt wird, und beinhaltet je zwei Zählungen im Frühjahr und im Herbst nach einheitlichen Horizont den Himmel. Viel gesprochen wird nicht, Dalüge und Rist tauschen ein paar Jägergeschichten aus, ansonsten konzentrieren die beiden Männer sich aufs Fahren und den Lichtkegel in der Nacht. „Also umrennen werden sie uns heute nicht, so viel steht fest“, sagt Dalüge, als er nach der ersten von vier Fahrstrecken Standards. Nach der Einrichtung der Fahrstrecken und einer einmaligen Einweisung sind die freiwilligen Zähler – meist die Revierjäger – alleine unterwegs. Die abgeleuchtete Fläche wird unter Berücksichtigung geländebedingter Sichteinschränkungen ermittelt und daraus die Anzahl der gezählten Hasen auf einen Quadratkilometer berechnet. Die Daten zur Bestandsentwicklung und dem kurz anhält, das Innenlicht einschaltet und Rahmendaten wie Temperatur (19 Grad), Wind (still bis gering) und Sicht (sehr klar) einträgt. Die Spalte für gesichtete Hasen bleibt vorerst leer.
„Beifang“in der Überzahl „Über das Zählen weiß ich, was im Einfluss verschiedener Umweltfaktoren liefern die Grundlagen etwa zur Auswahl und Erfolgskontrolle von Hilfsmaßnahmen und zur Beurteilung der Bejagbarkeit. Seit 2003 lassen die Ergebnisse der Stichprobenflächen Aussagen über die allgemeine Bestandssituation des Feldhasen zu. Das Ziel, eine auch für jeden einzelnen Naturraum repräsentative Stichprobe zu erhalten, ist noch nicht erreicht. (pau) Revier so rumspringt“, sagt Hobbyjäger Rist, der zwar über das Feldhasenprojekt zum Zählen gekommen ist, sich aber eben auch für die anderen Wildtierarten in seinem Revier interessiert – und deren Augen leuchten in dieser Nacht eindeutig fleißiger im Scheinwerferlicht als die der Hasen. „Beifang“, nennt Dalüge das. Auf dem Zählbogen werden am Ende 20 Rehe, sechs Füchse, vier Katzen und ein Steinmarder stehen und auch – „Halt mal“, sagt Rist, greift nach dem Fernglas und leuchtet auf die Wiese, wo sich im frischen Gras ein Hase putzt – zwei Hasen. Bei der vorherigen Zählung waren es immerhin vier.
„Für die Natur hier ist das normal“, erklärt Dalüge. Der Feldhasenbestand in der Region hält sich, abgesehen von witterungs- und krankheitsbedingten Schwankungen, seit Jahren stabil. Im vergangenen Herbst errechnete Dalüge durchschnittlich 11,6 Hasen pro Quadratkilometer in Baden-Württemberg. Im hiesigen voralpinen Hügel- und Moorland sind es weniger, der Schnitt lag bei 7,5.
Wildkräuter als Apotheke Hier macht dem Feldhasen die Landschaftsstruktur zu schaffen, die immer weniger Verstecke bietet und es Räubern wie Füchsen, Krähen, Reihern oder Mardern vor allem im Winter leicht macht, im Sommer tarnt den Hasen sein Fell. Die Feldhasen brauchen ungenutzte Flächen am Feldrand, wie zum Beispiel Feldraine, Heckensäume und Blühstreifen – auch als Nahrungsquelle. „Wildkräuter“, erklärt Dalüge, „sind die Apotheke des Hasen.“Lange Winter und feuchte Frühjahre, wie in hiesigen Breiten üblich, halten den Bestand auch klimatisch klein. „Trocken“, sagt Dalüge, brauche es der Feldhase, „und warm mag er es auch ganz gern.“
Erster Wurf im Februar Feldhasen bekommen bis zu fünf Mal im Jahr Nachwuchs. Außergewöhnlich ist, dass die Häsin noch während der Tragezeit erneut trächtig werden kann, also Hasenbabys unterschiedlicher Entwicklungsstadien in ihrer Gebärmutter haben kann. „Die Superfötation ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass es den Hasen hier noch gibt“, sagt Dalüge. Dieses Jahr kam der erste Wurf bereits im Februar, es könnte also ein gutes Hasenjahr werden. Und auch wenn es die Zählung im Bodnegger Revier nur erahnen lässt, es gibt ihn noch, den echten „Osterhasen“.