Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Profiteur des Verfalls
Infrastrukturinvestitionen sorgen für volle Auftragsbücher beim Baukonzern Leonhard Weiss
RAVENSBURG - Das Geschäft brummt beim württembergischen Baukonzern Leonhard Weiss. Mit einem Umsatz von etwa 1,2 (Vorjahr: 1,1) Milliarden Euro und einem Gewinn auf dem Niveau von 2015 war 2016 nach Angaben von Geschäftsführungsmitglied Stefan SchmidtWeiss „ähnlich gut“wie im Jahr zuvor. Angesichts vieler Projekte ist Schmidt-Weiss, Vertreter der vierten Generation des 1900 in Göppingen gegründeten Familienunternehmens, auch für 2017 optimistisch.
Die Impulse kamen 2016 laut Schmidt-Weiss „fast gleichermaßen aus den drei großen Geschäftsbereichen Ingenieur- und Schlüsselfertigbau, Straßenbau und Netzbau sowie Gleisinfrastrukturbau“. In letzterem Bereich hat Leonhard Weiss seinen Ursprung. Er trägt heute etwa 20 Prozent zum Umsatz bei. Je ein Drittel steuern die beiden anderen Geschäftsfelder bei.
Im Ingenieur- und Schlüsselfertigbau profitiert das Unternehmen laut Schmidt-Weiss von der angesichts niedriger Zinsen hohen Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Großprojekte waren und sind der Bau eines neuen Bürogebäudes mit Kantine für Audi in Ingolstadt, eines Abgasprüfzentrums für Porsche, eines Beton-Windkanals für BMW oder dem Bau der neuen JohnCranko-Ballettschule in Stuttgart. Hier, ebenso wie im Gleisbau, sei das Unternehmen deutschlandweit unterwegs und baue auch kleinere Projekte wie Ortsdurchfahrten: „Egal wie groß der Nagel ist, wir haben immer den passenden Hammer“, sagt Schmidt-Weiss.
Im Gleisbau wirkt Leonhard Weiss etwa beim Projekt Stuttgart 21, an der Neubaustrecke bei Merklingen, mit. „Es läuft sehr gut“, sagt der Manager. Ein weiteres Großprojekt befindet sich auf der neuen BahnHochgeschwindigkeitsstrecke München-Berlin in Ebensfeld bei Nürnberg. Im Straßenbau war das Unternehmen an der Sanierung der Kochertalbrücke beteiligt und wurde dafür mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis 2016 ausgezeichnet.
Bürokratie hemmt Bautätigkeit Angesichts der maroden Infrastruktur in Deutschland gibt es viel zu tun. Der teilweise sanierungswürdige Zustand von Straßen, Brücken, Tunneln und Schienen sichert eine gute Auftragslage und entsprechend hohe Beschäftigung. Das von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) angestoßene milliardenschwere Infrastrukturprogramm verschafft zusätzliche Impulse. „Wir haben hierzulande 30 000 marode Brücken, die teilweise sogar einsturzgefährdet sind“, sagt SchmidtWeiss. Engpässe bestünden aber bei der Umsetzung: „Mit Ausnahme von Bayern sind die Projekte nicht so planfestgestellt wie es sein sollte.“Mit anderen Worten: Die Projekte können nicht in Angriff genommen werden, obwohl Gelder da sind. Die Infrastruktur zerbröselt weiter.
Sorgen macht sich Schmidt-Weiss wegen der drohenden Knappheit bei verschiedenen Rohstoffen wie Kies und Sand: „Wir brauchen neue Gewinnungsstätten für Grundstoffe der Bauindustrie“, fordert er. Generell versuche man möglichst, die gesamte Wertschöpfungskette aus einer Hand anzubieten. Damit habe man schon häufig den Zuschlag für neue Aufträge erhalten.
Finanzielle Engpässe kennt das Unternehmen, das „nicht börsengetrieben ist und auch keine Pläne dahingehend hat“(Schmidt-Weiss), nicht. Investitionen etwa für die Expansion ins Ausland, das rund zehn Prozent zu den Erlösen beiträgt, würden aus der eigenen Kasse finanziert. Leonhard Weiss will in Europa bleiben. Außer in Österreich und in der Schweiz ist der Baukonzern im Baltikum, in mehreren osteuropäischen Ländern und in Skandinavien tätig.
Bei Übernahmen ist man in Göppingen eher vorsichtig: „Wir arrondieren und achten dabei darauf, dass eine Akquisition zu unserer Unternehmenskultur passt“, erklärt Schmidt-Weiss. Zum Portfolio gehören etwa die Tochter Green Way Systems im Telematik-Bereich, die Recycling-Tochter Wacker sowie zwei Schweizer Unternehmen. Invatec, das Kabelkanäle aus Kunststoff herstellt, geht auf die Idee eines Mitarbeiters zurück. Mit einer Ausbildungsquote von fünf Prozent steht das Unternehmen im Vergleich sehr gut da. Bis dato gibt es nach Angaben Schmidt-Weiss’ auch keine größeren Engpässe bei der Personalrekrutierung. Man tue aber auch viel, um attraktiv zu sein, fügt er hinzu.
Die Familienbande müsse man, „wie eine Partnerschaft“, pflegen, so Schmidt-Weiss. Nur so ließen sich Streitigkeiten, wie sie in vielen Familienunternehmen vorkämen, vermeiden. Einmal im Jahr gebe es ein großes Familienwochenende, bei dem alle zusammenkämen. Auch sonst reiße der Kontakt nie ab. „Bei uns gilt: Erst kommt das Unternehmen, dann die Familie, dann die Interessen des Einzelnen“, skizziert der Manager die Situation.