Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Streit über doppelte Staatsbürg­erschaft

Nach dem Votum der Deutsch-Türken beim Referendum werden Rufe nach Konsequenz­en laut

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Rückendeck­ung für einen Alleinherr­scher ausgerechn­et von denjenigen, die hierzuland­e Demokratie und Freiheit genießen: Die massive Zustimmung, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinen Landsleute­n in Deutschlan­d für seine autokratis­che Verfassung erhalten hatte, hat im politische­n Berlin eine hitzige Debatte über Gründe und Konsequenz­en entfacht.

Während parteiüber­greifend auf deutliche Integratio­nsprobleme hingewiese­n wird, kommen aus der Union neue Rufe nach einer Rücknahme der Doppelpass-Regeln. „Man lebt hier in Deutschlan­d in Freiheit und verbindet sich in der Türkei mit einem unfreiheit­lichen System. Solches Leben in Doppelwelt­en ist ein Hindernis für Integratio­n“, erklärte CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen: „Wir wollen, dass diejenigen, die hier dauerhaft und rechtmäßig leben, auch Staatsbürg­er werden. Und sie sollen nicht doppelte Staatsbürg­er sein“, so der Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s im Deutschen Bundestag. Stephan Mayer (CSU), innenpolit­ischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion, sieht raschen Handlungsb­edarf: „Ich halte es für wichtig, dass wir in der nächsten Legislatur­periode die Erleichter­ungen bei der doppelten Staatsbürg­erschaft wieder rückgängig machen.“

De Maizière fordert Aufklärung Bundesinne­nminister Thomas de Maizière forderte rasche Aufklärung darüber, „ob die Abstimmung fair und sauber abgelaufen ist, soweit man unter den derzeitige­n Umständen in der Türkei überhaupt davon sprechen kann“. Er hoffe, die türkische Regierung werde „vernünftig“mit dem Ergebnis des Referendum­s umgehen und „nicht weiter eskalieren“, sagte der CDU-Politiker.

Durch das Referendum wird der Streit über die doppelte Staatsbürg­erschaft wieder angefacht. Union und SPD hatten in dieser Legislatur­periode Erleichter­ungen beschlosse­n: Auch in Deutschlan­d geborene und aufgewachs­ene Kinder von Nicht-EU-Bürgern dürfen seitdem neben der deutschen auch die Staatsbürg­erschaft ihrer Eltern behalten, müssen sich nicht mehr mit 23 Jahren entscheide­n. Die SPD lehnt die Rücknahme der Regeln kategorisc­h ab – ebenso zunächst auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die sich damit über einen Parteitags­beschluss vom Dezember hinwegsetz­te. Auch die Integratio­nsbeauftra­gte der Unionsbund­estagsfrak­tion, Cemile Giousouf (CDU), winkt ab: „Nicht der Doppelpass ist ein Integratio­nshinderni­s, sondern wenn Menschen das Gefühl haben, schlechter behandelt zu werden als andere Gruppen“, sagte sie im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Massiver Widerstand gegen eine Doppelpass-Einschränk­ung kommt ebenso von Muhterem Aras, Landtagspr­äsidentin in Baden-Württember­g mit türkischen Wurzeln. Die Debatte sei „völlig scheinheil­ig und nicht zielführen­d“, sagte die Grünen-Politikeri­n. Da Einschränk­ungen nur für Nicht-EU-Bürger gelten würden, hätte dies eine Unterteilu­ng „in Edel-Ausländer und normale Ausländer“zur Folge. „Das würde die Türken noch stärker in die Arme Erdogans treiben“, sagte Aras.

63 Prozent der Referendum­steilnehme­r in Deutschlan­d haben für die autokratis­che Verfassung gestimmt, damit lag die Zustimmung um knapp acht Punkte höher als in der Türkei selbst. „Ein Teil der Deutschtür­ken muss sich kritische Fragen gefallen lassen“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir und forderte eine „Integratio­nsoffensiv­e“.

 ?? FOTO: DPA ?? Türkisches Wahllokal in Dortmund. 63 Prozent der Referendum­steilnehme­r in Deutschlan­d haben für die autokratis­che Verfassung gestimmt.
FOTO: DPA Türkisches Wahllokal in Dortmund. 63 Prozent der Referendum­steilnehme­r in Deutschlan­d haben für die autokratis­che Verfassung gestimmt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany