Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schäuble gibt nicht klein bei
Finanzminister gegen Staatseingriff zum Abbau der Exportüberschüsse
WASHINGTON (dpa) - Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die deutsche Bundesregierung streiten auf internationaler Bühne weiter über die Höhe deutscher Exportüberschüsse. „Nicht alles ist gerechtfertigt“, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag zur Eröffnung der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zeigte sich dagegen nicht zu staatlichen Eingriffen in die Leistungsbilanz bereit.
Deutschland war 2016 erneut Exportweltmeister mit einem Rekordüberschuss von 252,9 Milliarden Euro. Der Exportüberschuss erreichte deutlich über acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die EU sieht mehr als sechs Prozent als Problem für Stabilität an. Ökonomen fürchten wirtschaftliche Ungleichgewichte und fordern mehr staatliche Ausgaben. Einig waren sich Schäuble und Lagarde darin, dass das Problem bereits kleiner werde. Die Bundesrepublik habe ihre Investitionen etwa in die Kinderbetreuung und in die Integration von Flüchtlingen erhöht. „Ich habe Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, dass Investitionen in den Ausbau der Breitband-Infrastruktur eine gute Idee wären“, sagte Lagarde.
Für Europäischen Währungsfonds Schäuble machte darauf aufmerksam, dass das Handelsbilanzdefizit der USA mit Deutschland bereits von 77 auf 68 Milliarden Dollar geschrumpft sei. Der Überschuss sei das Ergebnis der Qualität und der Attraktivität deutscher Produkte, nicht staatlicher Eingriffe.
Deutlich kritisierte Schäuble die Geldschwemme der Notenbanken. „Die ultra-lockere Geldpolitik in vielen Regionen ist nicht hilfreich.“Sie ermuntere zu unangemessener Risikobereitschaft, politischer Selbstzufriedenheit, fehlgeleiteten Kapitalströmen und Preisblasen. „Wenn nicht rechtzeitig umgesteuert wird, steigt eher das Risiko einer weiteren Krise anstatt es zu reduzieren“, sagte Schäuble. Er sprach sich zugleich für einen Aufbau eines Europäischen Währungsfonds aus. Auf die Frage, ob dieser schon in nächster Zeit kommen sollte, sagte Schäuble: „Ich denke ja.“Es sei Zeit, ein europäisches Rettungsprogramm aufzubauen. Davon habe er auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) überzeugt. Diskutiert werde, den Euro-Rettungsfonds ESM auszubauen.
Zur Frühjahrstagung in Washington werden Finanzminister und Notenbankchefs aus 189 IWF-Mitgliedsländern erwartet. Bei der bis Sonntag dauernden Veranstaltung treffen sich auch die G20-Finanzminister unter Vorsitz Schäubles zu Beratungen. Mit Spannung wird am Samstag ein Zwiegespräch zwischen Lagarde und US-Finanzminister Steven Mnuchin erwartet. In der Diskussion um eine zunehmende Abschottung in der größten Volkswirtschaft der Welt hat sich Lagarde klar positioniert. „Wir müssen alle zusammenarbeiten, um das System, wie wir es haben, zu unterstützen und zu verbessern“. Der Welthandel habe sich als große Triebfeder für Wachstum erwiesen. Um dies künftig zu gewährleisten, brauche es gleiche Bedingungen für alle. „Es darf keine Störungsversuche und keine protektionistischen Maßnahmen geben.“Die neue US-Politik werde als eine der größten Gefahren für den internationalen Handel und als Bedrohung für den Erfolg der Globalisierung gewertet.
Der Blick in die Statistiken der Welthandelsorganisation WTO sei besorgniserregend, so die IWF-Chefin. Die Quote der Regelverletzungen sei in den letzten beiden Jahren sprunghaft auf 6,5 Prozent gestiegen. „Und dies allein bei den G20-Ländern“, sagte Lagarde. „Hier gibt es ganz klar Möglichkeiten zur Verbesserung.“Sie habe jedoch nicht den Eindruck, dass die US-Regierung nicht gesprächsbereit sei. Insgesamt habe sich die Stimmung in der Weltwirtschaft aufgehellt. Das Wachstum verbessere sich von 3,1 Prozent im vergangenen Jahr auf weltweit 3,5 Prozent im laufenden Jahr.
Weltbank-Präsident Jim Yong Kim hatte zuvor die wohlhabenden Länder der Welt aufgerufen, ihre Entwicklungshilfe nicht zurückzufahren. „Dies ist nicht im Interesse einzelner Länder, sondern im Interesse der Welt“, sagte Kim. Er reagierte damit auf Ankündigungen der Geberländer USA und Großbritannien, das seit Jahrzehnten existierende Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in Entwicklungshilfe zu stecken, infrage zu stellen.