Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Am Thema Fachkräftemangel scheiden sich die Geister
Mehrere Wirtschaftszweige klagen seit Jahren über Probleme bei der Suche nach qualifiziertem Personal
MÜNCHEN (dpa) - Seit Jahren sorgt das Thema Fachkräftemangel für Diskussionen. Während sich die Wirtschaft über wachsende Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen beklagt und auch vor den konjunkturellen Folgen warnt, halten Gewerkschafter den Arbeitgebern teils schlechte Arbeitsbedingungen vor und machen die Unternehmen selbst für Schwierigkeiten bei der Suche nach Mitarbeitern verantwortlich. Einige gängige Thesen:
These 1: Schon jetzt gibt es Fachkräfte-Engpässe. Das stimmt zwar für einige Berufsgruppen, ist aber regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die aktuelle Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel – wohl aber Engpässe in einigen technischen Berufen sowie in Gesundheitsund Pflegeberufen. Mit durchschnittlich 162 Tagen am längsten bleiben demnach Stellen in der Altenpflege unbesetzt, gefolgt von Jobs im Bereich Heizung, Sanitär, Klimatechnik und Klempnerei (150 Tage) sowie Softwareentwicklung und ITBeratung (143 Tage). Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wiederum kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die Firmen derzeit etwa die Hälfte aller Stellen in Engpassberufen ausschreiben und somit Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung vielerorts bereits die Regel und nicht die Ausnahme seien. Im Süden sei die Lage dabei angespannter als im Norden, aber auch in Ostdeutschland spitze sich die Situation teils zu.
These 2: Das Problem wird sich verschärfen. Vorhersagen aus der Wirtschaft zur künftigen Fachkräftelücke stoßen auf Kritik – auch weil dahinter das Interesse vermutet wird, möglichst viele junge Leute für technische Berufe zu rekrutieren und die Bezahlung zu drücken. Fest steht: Zwar schmälern die Alterung der Gesellschaft und der Trend zum Studium die Zahl der Bewerber in bestimmten Berufen. Aber die Digitalisierung könnte diese Entwicklung abfedern.
These 3: Viele Jugendliche sind nach der Schule nicht ausbildungsfähig. Darüber klagen Wirtschaftsvertreter. Zu häufig hapere es nicht nur an ausreichenden Mathematik- und Deutschkenntnissen, sondern auch an sozialen Kompetenzen, sagte kürzlich der Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeberverbände, Bertram Brossardt. Ausbildungsund Arbeitsmarktexperten halten dagegen: Angesichts schrumpfender Bewerberzahlen sollten die Firmen auch sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Leuten mit schwächeren Schulabschlüssen Chancen bieten.
These 4: Der Fachkräftemangel ist auch hausgemacht. Vor allem die Gewerkschaften werfen Arbeitgebern in Berufen mit Nachwuchssorgen vor, zu wenig für die Ausbildungsqualität zu tun. Überstunden, fehlende Ausbildungspläne, hoher Druck – solche Mängel machten manche Berufe für junge Leute unattraktiv, argumentiert der Deutsche Gewerkschaftsbund. In seinem jährlichen Ausbildungsreport kommen etwa immer wieder Ausbildungsgänge im Hotelund Gaststättengewerbe vergleichsweise schlecht weg. Genau in solchen Berufen gebe es besonders viele unbesetzte Ausbildungsplätze, sagt DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller.