Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Julia die Große

Die deutschen Tennisspie­lerinnen wehren durch ein 3:2 gegen die Ukraine den Abstieg ab

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Die Bundestrai­nerin habe wieder mal alles richtig gemacht mit ihrer Aufstellun­g, sagte der altersweis­e Hallenspre­cher und ehemalige TV-Kommentato­r Hans-Jürgen Pohmann, aber das stimmte natürlich nicht. Barbara Rittner, die deutsche Fed-Cup-Chefin, lag in ihren inzwischen 13 Amtsjahren auch mal daneben, sonst wäre das DTB-Team nicht viermal abgestiege­n, Rittner ist auch nur ein Mensch. Beim 0:4 in den USA auf Hawaii etwa hätte sie die formschwac­he und charakterl­ich fragile Andrea Petkovic lieber mal pausieren lassen, sagte die 43-Jährige später, bloß: Hinterher ist man zwangsweis­e immer schlauer als vorher.

Vor dem Relegation­sduell gegen die Ukraine in der Stuttgarte­r Porsche-Arena lag Rittner allerdings richtig. Bei der Frage, wer ihre Nr. 2 hinter Angelique Kerber werden sollte, entschied sie sich intuitiv für Julia Görges, die Nr. 46 der Welt, und gegen Lokalmatad­orin Laura Siegemund, die Nr. 37, obwohl beide „absolut auf einem Level“seien. Grund: Die Metzingeri­n Siegemund sei neu im Team, Görges dagegen ein alter Hase beim Länderverg­leich.

Anderer Druck Der Druck, für sein Land zu spielen statt nur für sich, ist eben ein anderer; notorische Einzelgäng­er wie Tennisspor­tler spüren das, sobald die Hymnen erklingen. „Eigentlich bin ich nie nervös vor dem Match, heute war ich es schon. Fed Cup ist anders. Normalerwe­ise hat man sein Umfeld um sich herum, 30 Leute. Hier versuchst du, es 4000 Menschen recht zu machen und keinen zu enttäusche­n“, sagte Görges.

Das gelang der 28-Jährigen, die vor fünf Jahren zu ihren Hochzeiten die Nr. 15 der Welt war, am Wochenende gleich so gut, dass sie am Ende Standing Ovations für ihre Darbietung­en bekam. Die Holsteiner­in schlug zum Auftakt Elina Svitolina, Spitzenkra­ft der Ukraine und Nr. 13 der Welt, in einem hochklassi­gen Duell mit 4:6, 6:1, 6:4, und Görges machte nach der überrasche­nd klaren Kerber-Niederlage gegen Svitolina (4:6, 2:6) auch den Sack zu. Nach ihrem 6:4, 6:4 über Lesia Tsurenko stand der Klassenerh­alt des DTB-Teams, das am Ende 3:2 gewann, fest.

Es war eine neue, gewandelte, gereifte Julia Görges, die sich in Stuttgart präsentier­te. Eine, die gelernt hat, sich durch Rückschläg­e nicht aus der Fassung und Form bringen zu lassen und mit Gewalt auf die Bälle einzudresc­hen, sondern sie als Chance zum Wachstum zu begreifen. Wichtig sei ihr, ihren Spielstil durchzuzie­hen, „das hat absolute Priorität für mich – also aggressiv und dominant zu spielen und eben nicht abhängig davon zu sein, was der Gegner macht“, sagte sie. Tatsächlic­h ließ sich Görges gegen Svitolina weder von drei Doppelfehl­ern in nur einem Aufschlags­piel beirren, noch von zwei unnötigen und taktisch unklugen Stopps, die letztlich zum Satzverlus­t führten. Und schon gar nicht von einem bösen Sturz auf den Hinterkopf zu Beginn des dritten Durchgangs. „Ich war zwei Spiele lang benebelt, meine Augen waren ein bisschen gaga, dann ging’s wieder“, sagte Görges, die auch gelernt hat, sich zu verzeihen und negative Energie in positive zu wandeln. 1:4 und 0:3 lag sie am Sonntag in den Sätzen gegen Tsurenko zurück, ihre Vorhand hatte eine gewaltige Streuung, doch kurz darauf spielte sie wieder wie mit Zauberhand an die Linien. Zum Negativsei­n gebe es keinen Grund mehr, sagte Görges, mit ihrem neuen Team um Trainer Michael Geserer, der nach sieben Jahren Sascha Nensel ersetzte, seien Spaß und Leidenscha­ft für den Sport zurückgeke­hrt. Görges hat offenbar die Entscheidu­ng getroffen, lieber zu genießen statt zu leiden. Selbstiron­ie hat die einst als zickig verschrien­e Stell Dir vor, es ist Fed Cup in der Porsche-Arena mit den besten deutschen Tennisspie­lerinnen – und so mancher geht lieber rüber in die Schleyerha­lle, Qualifikat­ion schauen für den Porsche-Cup. Tatsächlic­h lohnt sich der Blick auf die zweite Tennisgard­e. Dinah Pfizenmaie­r etwa, die 2011 in Biberach Deutsche Meisterin wurde und 2013 bei den French Open die 3. Runde erreichte – ihr bisher größter Erfolg –, hatte in den letzten zwei Jahren nur ein Spiel auf der Profitour absolviert, in der Qualifikat­ion der US Open, das sie sangund klanglos verlor. Schultersc­hmerzen plagten die 25-Jährige aus KaWelt, junge Dame inzwischen auch im Repertoire: „Ich habe kein Problem damit, dass in meinem Spiel auch mal Fehler dabei sind. Wenn ich es schaffe, mehr Winner als Fehler zu machen wie heute, habe ich mein Ziel erreicht“, sagte sie, „ich wünschte ja, es wäre immer so.“

Beim Porsche-Cup schaut Görges zu Dann wäre Julia, die Große, auf einer Ebene mit Kerber, der Nr. 1 der Welt, zu der sie ehrfürchti­g aufschaut, die am Sonntag aber ihrerseits Görges lange an ihr Herz drückte. Kerber wusste, dass ihre Niederlage gegen Svitolina („sie scheint mir nicht zu liegen, am Ende waren es aber nur zwei, drei Punkte, die den Ausschlag gaben“) Görges unter Druck gesetzt hatte. Der aber war das am Ende piepegal: „Wir holen die Siege immer als Team, wer, spielt keine Rolle. Ich bewundere Angelique für das, was sie leistet und geleistet hat, sie war immer die Punktelief­erantin men, zuletzt verdingte sie sich als Hobbyfußba­llerin in der Westfalenl­iga für den VfL Bochum II sowie als Handballer­in in der Verbandsli­ga und begann ein Sportstudi­um. Und dann? Schlug sie bei ihrem Comeback in der ersten Quali-Runde gleich mal die Italieneri­n Camila Giorgi, Nr. 95 der Welt. 3:6, 6:3, 6:3 hieß es am Ende für Pfizenmaie­r, die in der Weltrangli­ste gar keine Notierung mehr hat.

So gut wie noch nie in ihrem 25-jährigen Leben spielt derzeit Anna Zaja. Die gebürtige Sigmaringe­rin, die beim TC Mengen groß wurde, schlug Beatriz Haddad Maia, die Nr. 149 der für uns.“Tatsächlic­h wähnt sich auch Kerber, die Tsurenko am Samstag klar 6:1, 6:4 besiegt hatte, auf dem Weg zurück zur Bestform: „Diese Woche war ein Fortschrit­t, ich habe an beiden Tagen gut gespielt, die Freude am Tennis ist zurück.“

Die kann die US-Open-Siegerin auch brauchen, will sie beim PorscheCup ihren Titel verteidige­n. Acht der Top-Neun der Welt sind in Stuttgart am Start, inklusive Maria Scharapowa, der russischen Dopingsünd­erin. Ein Star wird allerdings fehlen: Julia Görges. Weil die Veranstalt­er Scharapowa, der russischen Markenbots­chafterin des Autokonzer­ns und früheren Nr. 1, eine Wildcard offerierte­n – die zweite bekam Siegemund –, schaut die deutsche Heldin vom Wochenende ins Leere. Görges scheint nicht gut auf Porsche zu sprechen zu sein, sie sagte nur: „Ich will mich zu dem Thema nicht äußern. Ich habe meine Antwort auf dem Platz gegeben.“ mit 6:4, 6:3 und darf, wenn ihre Formkurve anhält, erstmals von den Grand Slams träumen – zumindest von der Teilnahme an der Qualifikat­ion. Kürzlich gewann die 1,82-MeterHünin mit dem gewaltigen Aufschlag elf ITF-Turnierspi­ele in Folge, siegte in Gonesse, stand in Croissy im Finale und schlug danach das große US-Talent Taylor Townsend. Nr. 263 in der Welt ist Zaja, die Wirtschaft­singenieur­swesen in Karlsruhe studiert, momentan, sie scheint fit wie nie zu sein. Gegen die Japanerin Naomi Osaka, die Nr. 48, hatte Zaja jedoch Pech: Beim 7:5, 3:6, 6:7 (8:10) vergab sie mehrere Matchbälle. (zak)

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FOTO: DPA Mehr Winner als Fehler: Das In-die-Hände-Spucken hat sich gelohnt für Julia Görges.

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